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Inoue spiegelt die Geschichte eines ein Jahrzehnt dauernden Ehebruchs in drei Briefen: der Gattin, der Geliebten und deren Tochter. Dies geschieht in knapper, präziser Sprache (der Übertragung durch Oskar Benl ein Sonderlob!), die den Autor selbst bei den auch noch für die jüngere japanische Literatur charakteristischen Naturschilderungen, die hier von eigentümlich kühler Eindringlichkeit sind, nicht verläßt. Wichtiger denn der Rang als Kunstwerk, der durch etliche sentimentalische Einsprengsel Einbußen erleidet, ist die Topographie der geistseelischen Verfassung der Personen, die diese in einer Phase zeigt, da ihr Volk, von den überlieferten Leitbildern im Stich gelassen, jene des Westens sich noch nicht organisch einverleibt hat. Die daraus resultierende innere Ohnmacht, Ich-Einsamkeit und Labilität hat Inoue an tauglichem Thema zur Dichtung werden lassen.

Schlicht, ja einfältig in der Diktion ist Ramon Jose Senders Erzählung, die während des spanischen Bürgerkriegs spielt. Der Priester eines kleinen Dorfs rechtet mit sich über seine passive Mitschuld am Tod des Dorfburschen Paco dei Molino, den er einst getauft, dessen Leben er im Auge behalten und dem er vor der Erschießung durch einen faschistischen Trupp die Absolution erteilt und Trost zugesprochen hat: „Manchmal läßt Gott es zu, mein Sohn, daß ein Unschuldiger umkommt. Er hat es bei Seinem eingeborenen Sohn zugelassen...“ Wer sich tiefer in das Werk einliest, erkennt, daß es nicht um die vordergründig realen Ereignisse geht, sondern um das Erspüren von Kollektivphänomenen, die zum Ausbruch und den wahnwitzigen Greueln des Bürgerkriegs wie zu einer Naturkatastrophe führten, deren Vorboten von feinsten psychischen Seismographen zwar registriert, doch nicht gedeutet werden können. Menschliche Macht und Ohnmacht in ewig rätselhafter Relation — Anlaß genug, den Schleier mediterraner Melancholie über das Geschehen, seinen Sinn und NichtSinn zu breiten.

Claude Simons „Seil“, achtzehn Jahre nach der französischen Originalausgabe vorgelegt, hat nichts von seinem intellektuellen Reiz und der Direktheit des Wollens eingebüßt. Schließt jene die Wertung als Dichtung aus, so verlangt dieser um so nachdrücklicher das Verstehen als Dokument einer Epoche, in der geistig-psychische und politische Wesenheiten so radikal aufeinader-stießen, daß demjenigen, der sie gleichzeitig an die Kandare nehmen wollte, kein anderer Weg blieb, als jedem Phänomenkomplex eine eigene Stilform zu widmen: so steht hier die philosophische Reflexion neben der Selbstbetrachtung, die krude Beobachtung neben der Relativierung und diese neben verborgenen Ansätzen zu neuen Unduldsamkeiten.

Adornos „Noten zur Literatur III“ (die Bände I und II wurden hier gebührend gewürdigt) erweisen einmal mehr die faszinierende Leuchtkraft seines Denkens. Auch derjenige, dem Adornos Post-Hegelianismus oder was dafür gilt, grundsätzlich suspekt erscheint, möge sich zunächst mit ihm auf geistigem Feld messen, ehe er darob zur Kritik ansetzt. Tritt er zu diesem Gang an, wird er möglicherweise merken, daß Adorno in manchen Bereichen mehr abendländisches Gut sichtend verwaltet als mancher Erzkonservative, der sein Material blindlings gehorsam übernimmt, ohne sich im Detail ausreichend Rechenschaft über die Tragkraft diverser Gedankenfundamente zu legen. In dem vorliegenden Band sind unter anderem Paraphrasen zu Lessing, Beiträge zu einem Porträt Thomas Manns, An merkungen zu Balzac, ein analy tischer Kommentar über „Sittlichkei und Kriminalität“ von Karl Kraus worin auf die brennende Aktualitä des Themas hingewiesen wird, eh Text über Siegfried Kracauer, eini Darlegung der geistigen Askese, dii aller kritischen Stellungnahme vor auszugehen hat, entwickelt mit den Blick auf eine Lesung von Han G. Helms, sowie eine Polemik voi federnder Eleganz über mediokri Hölderlin-Interpretationen enthalten. Hieß einst ein wirksame: Propagandaslogan: „Es ist unmöglich, von Edgar Wallace nicht gefesselt zu sein“, müßte dieser Gag ins Geistige transformiert, gegenüber Adorno heißen: „Es ist unmöglich, mit Adorno nicht ins Streitge-sprach zu geraten.“ Ins Streitge sprach, das einen zwingt, seini Kräfte zu versammeln, disziplinier zu denken und denkend Standpunkt! herauszupräparieren.

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