6797856-1971_19_05.jpg
Digital In Arbeit

„Bauern schauen oft mit Neid auf die Stadt”

Werbung
Werbung
Werbung

FURCHE: Die ÖVP hat die vom Institut für empirische .Sozialforschung (IFES) vorgelegte Multivariatenanalyse abgelehnt. Tat sie das, weil der Chef des IFES, Blecha, sozialistischer Abgeordneter ist oder weil die Analyse falsch ist?

LANNER; Unserer Analyse des Wahlergebnisses entnehme ich, wenn ich die 20 österreichischen Bezirke mit dem höchsten Agraranteil herausgreife, daß diese Bezirke über den österreichischen Durchschnitt hinaus Waldheim ge-

wählt haben. Das ist zunächst einmal die Gegenüberstellung eines Faktums gegen diese IFES-Ana- lyse. Ein zweites möchte ich aber schon sehr offen sagen: Dar Verdacht einer gewissen Lenkung der Analyse besteht nun einmal, weil das IFES von einem klaren Exponenten der SPÖ geführt wird und weil in allen Äußerungen der SPÖ-Pölitiker die sagenannte Wahltendenz in den Agrargemeinden unterstrichen wurde. Wir haben den ORF, der diese Analyse am Wahltag sendete, um Aufklärung gebeten, nach welchen Kriterien Agrargemeinden abgegrenzt wurden und auf welches Basisjahr sich diese Abgrenzung bezieh! Bezieht sich diese auf die Volkszählung 1961, dann wird das Bild verfälscht, da sich in diesen zehn Jahren die Bevölkerungsstruktur ganz entscheidend verändert ha!

FURCHE: In typischen Agrarbezirken Niederösterreichs, wie etwa in Hollabrunn, Mistelbach, Zwettl oder Amstetten, erreichte

Waldheim weniger Stimmen als die ÖVP bei der Nationalratswahl.

LANNER: Man kann nur Gleiches Gleichem gegenüberstellen. Audi in diesen Bezirken, bezogen auf das durchschnittliche Wahlergebnis Österreichs, wurde ein besseres Ergebnis, als es Gorbach erreichte, erzielt.

FURCHE: Die Bauern sind das Rückgrat der ÖVP. Wird es für den Bauernbund auf Grund des Wahlergebnisses innerhalb der ÖVP irgendwelche Schwierigkeiten geben?

LANNER: Nicht für die Bauern im speziellen. Ich glaube, das Wahlergebnis als solches ist Anlaß, über Verschiedenes, was die ÖVP betrifft, nachzudenken. Und auch zu handeln. Denn je besser die ÖVP im Rennen ist, desto besser kann der Bauernbund Erfolge für die von Ihm vertretenen Berufsgruppen — das sind nicht nur die Bauern, sondern alle Menschen im ländlichen Bereich — zu erzielen trachten.

FURCHE: Halten Sie es für möglich, daß Kleinbauern aus einer gewissen Verärgerung der ÖVP gegenüber dem SPÖ-Kandidaten den Vorzug gegeben haben?

LANNER: Völlig unabhängig von ÖVP oder SPÖ stehen die Bauern vor der Frage: Wie geht es weiter? Aus dem Stadt-Land-Pro- blem ergeben sich oft andersgeartete Reaktionen als man es erwartet. Die Bauern fühlen sich oft verlassen und schauen mit Neid auf die Stadt. Hier müssen wir gezielte Maßnahmen für den ländlichen Raum setzen, damit nicht eine breite Unzufriedenheit um sich greift

FURCHE: Wird das Wahlergebnis des 25. April, das Kreisky als Bestätigung seiner Politik angesehen hat, Rückwirkungen auf die Politik des Bauernbundes haben? LANNER: Wir haben, was den Bauernbund betrifft, eine klare Strategie, und ich sehe keine Ursache, unsere Haltung, das ist nicht Obstruktion, zu ändern. Wir werden auf jeden Fall unsere Aufklärungsaktion auf breiter Basis konsequent fortsetzen. Ob Manifestationen anderer Art notwendig sein werden, hängt von der Haltung der Regierung zu und gegenüber den Bauern ab.

Mit Dr. Lanner sprach Franz Wolf

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung