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„Marneschlacht” der Agrarier

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Schon am Nachmittag der Wiederwahl des sozialistischen Kandidaten Franz Jonas zum österreichischen Bundespräsidenten hatte das Fernsehen, oder besser: das von ihm herangezogene Institut für empirische Sozialforschung eine „wissenschaftlich einwandfreie” sogenannte Multivariatenanalyse zur Hand, der man in der ÖVP vorwarf, gerade so subjektiv und politisch wertprofiliert zu sein wie IFES-Chef und SPÖ- Abgeordneter Karl Blecha. „Diese Wahlanalyse”, schreibt Dipl.-Ing. Ernst Gehmacher vom IFES in der jüngsten Nummer der AIAS-Informationen, „sollte das soziale und politische Geschehen transparent machen.”

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Schon am Nachmittag der Wiederwahl des sozialistischen Kandidaten Franz Jonas zum österreichischen Bundespräsidenten hatte das Fernsehen, oder besser: das von ihm herangezogene Institut für empirische Sozialforschung eine „wissenschaftlich einwandfreie” sogenannte Multivariatenanalyse zur Hand, der man in der ÖVP vorwarf, gerade so subjektiv und politisch wertprofiliert zu sein wie IFES-Chef und SPÖ- Abgeordneter Karl Blecha. „Diese Wahlanalyse”, schreibt Dipl.-Ing. Ernst Gehmacher vom IFES in der jüngsten Nummer der AIAS-Informationen, „sollte das soziale und politische Geschehen transparent machen.”

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Erst über das Fernsehen und einen Tag später auch noch im Rahmen einer Pressekonferenz verriet Karl Blecha seine sehr persönlichen Schlußfolgerungen aus den Bundes- präsiidenctschiaftswahlen. Das sah dann so aus: Bei einem Vergleich mit den Nationalratswahlen 1970 haben am 25. April 1971 mehr Bauern und mehr Jungwähler für den sozialistischen Kandidaten votier!

Wieder einige Tage später hat Bundeskanzler Dr. Kreisky von dem von Blecha aufgezeigten, angeblich objektiven Umstand zu profitieren versucht, indem er einerseits die Strategie der Bauemdemonstration als verfehlt bezeichnete und anderseits die Führer der Bauernschaft erneut einlud, mit ihm die Regelung ihrer Anliegen direkt zu behandeln. Es zeigt sich nämlich immer deutlicher, wußte Dr. Kreisky, daß der Traktorensturm auf das Bundeskanzleramt „die Mameschlacht des Bauernbundes” gewesen sei.

„Äpfel und Birnen”

Kurz famuliert war Blechas Multivariatenanalyse so wissenschaftlich, wie das Äpfel- und Bimenvergleiche in der angewandten Sozialforschung zu sein pflegen. Denn einmal wurden die kaum vergleichbaren Ergebnisse von Nationalratswahlen, wo mehrere Parteien mit unterschiedlichen Pro grammen kandidieren, mit Präsidentschaftswahlen, wo zwei Kandidaten als wesensverschiedene Persönlichkeiten die Stimmen der Wähler zu gewinnen suchten, verglichen; das andere Mal wurden 271 sogenannte Testgemeinden als Untersuchungsgebiete herangezogen, obwohl natürlich bekannt ist, wie schlecht Einzelgemeinden mit ihren kaum erfaßbaren lokalen Besonderheiten für seriöse Wahlanalysen geeignet sind. Insbesondere ist aber die Heranziehung der Volkszählung 1961 für die Festlegung einer Gemeinde — etwa als Agrar- gecmeinde — schon deshalb fragwürdig, weil seither (vor allem im Westen Österreichs) tiefgreifende Veränderungen eingetreten sind.

Eine weniger auf sozialistische Zielvorstellungen als auf Seriosität verpflichtete Wahlanalyse zeigt, daß in einem Vergleich der Ergebnisse vorn 25. April 1971 mit den letzten Bundespräsidentenwahlen im Mai 1965 sowohl in den 20 Bezirken mit dem höchsten Agrar- als auch in jenen mit dem höchsten Jungwähleranteil der ÖVP-Kandidat Waldheim mehr gewählt wurde als im Österreichdurchschnitt. Erhielt Waldheim in Österreich 95,7 Indexpunkte vom Gorbach-Ergebnis 1965, so erhielt er in Bezirken mit einem sehr hohen Anteil der in der Land- und Forstwirtschaft Beschäftigten an der

Wohnbevölkerung 97,6 Indexpunkte und in Bezirken mit einem hohen Anteil der Zwanzig- bis Dreißigjährigen an der Wohnbevölkerung immerhin 95,8 Indexpunkte. Dabei fiel auf, daß die Bereitschaft der Erst- und Jungwähler, Waldheim zu wählen, mit zunehmendem Urbanisierungsgrad anstieg. Zutreffend war Blechas IFES-Analyse dort, wo er feststellte, daß in den westlichen Bundesländern die Mehrheit der Freiheitlichen Jonas gewählt habe, während sie in den südlichen Bundesländern eher für Waldheim votierte. Diese Analyse haben aber schon nach Einlangen der ersten Wahlergebnisse auch Journalisten vorgenommen.

Wie eine Analyse des Wahlergebnisses vom 25. April ferner zeigt, lagen die Bundesländer Kärnten, Steiermark, Niederösterreich und das Burgenland über dem Österreieh-Total- index. die Bundesländer Salzburg (94,5 Indexpunkte), Wien (92,7), Tirol (91,8) und Vorarlberg (84,5) unter dem Totalindex. In den Großstädten Graz, Linz, Salzburg, Innsbruck und Klagenfurt erhielt Jonas nur rund 30 Prozent der FPÖ-Stimmen, wogegen Salzburg nur einen Waldheim- Gorbach-Index von 92,2 und Innsbruck gar von 87,2 erreichte. In einer Reihe österreichischer Mittelstädte werden die Indexwerte der betreffenden Bundesländer klar überboten: in Wels mit 97,4, Steyr mit 99,9, Sankt Pölten mit 99,3, Wiener Neustadt mit 97,8; Villach sogar mit 100,3. Allerdings ist von keinem demokratisch organisierten Land der Welt ein Fall bekam! daß eine unabhängige Rundfunkanstalt einem so parteinahen Meimmgforschungsinstitut die Gelegenheit böte, die Wahlergebnisse und damit auch die öffentliche Meinung zu interpretieren.

Nicht die Monopolisierung dieser Branche durch das IFES-Institut soll hier kritisiert werden, sondern allein die Tatsache, daß ein so parteipoli-

tisch fixierter Mann wie National- ratsabgęordneter Blecha unter dem Hinweis auf eine sehr umstrittene Wissenschaftlichkeit seiner Methode social-engineering betreiben darf. War schon bisher nicht anzunehmen, daß Blecha seine Parteiarbeit von der Arbeit im IFES exakt zu tren nen vermag, dürfte mit der Multivariatenanalyse vom 25. April doch der peinliche Nachweis erbracht sein, wie nahe die Manipulation der Integration 1st.

Der ORF allerdings sollte daraus die Konsequenzen ziehen,

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