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Berserker mit Busoni

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Man erlebt immer wieder Überraschungen. Da gab es diesen weltberühmten Pianisten Ferruccio Busoni, Komponist, Bach-Bearbeiter und hochgeschätzter Lehrer in den USA, in Moskau und zuletzt, bis zu seinem Tod im Jahre 1924, in Berlin, überdies Autor einer der aufregendsten kunstprophetischen Schriften: „Entwurf einer neuen Ästhetik der Tonkunst“ (1907). Aber unter den vielen, vielen Stücken, die er für Klavier geschrieben hat, befindet sich auch ein wahres Monstrum von Konzert für Solo, überbesetztes Orchester — und Chor, fünf sätzig, mit' einer Gedamtdauer von nicht weniger als 70 Minuten. Natürlich gibt ps in dieser Partitur — denn Busoni war ein sehr talentierter und geschmackvoller Musiker — viele, schöne Stellen. Das Ganze ist aber nur durch eine Art Gigantomanie zu erklären, der Busoni, der ausgepichte Ästhet, vorübergehend verfallen war. — Das Riesenwerk ist 1905, im gleichen Jahr wie Mahlers fünfsät-zige 5. Symphonie entstanden. — Mit dem 4. Satz war ein wenn auch sehr später, doch wirkungsvoller Abschluß erreicht: eine fulminante Tarantella. Aber auf diese muß Busoni noch einen Männerchorsatz folgen lassen, auf Verse von A. G. öhlen-schläger, in denen die Schöpferkraft Allahs gepriesen wird. — Das war eindeutig zu viel. Aber nicht für den etwa 30jährigen bärenhaften englischen Pianisten John Ogdon (vielfacher Preisträger), der den unbeschreiblich schweren Klavierpart nicht nur „bewältigte“, sondern auch im Kopf hatte. — Der Applaus des Publikums, ungewöhnlich stark und herzlich, galt wohl vor allem den Heldentaten der Ausführenden: dem ORF-Chor und Orchester unter Leif Segerstam, dem wir die Begegnung mit diesem Unikum der Klavierliteratur zu verdanken haben, ferner der „Tragischen Ouvertüre“ und dem „Schicksalslied“ (Hölderlin-Text) von Brahms, in dem sich wieder einmal der Rundfunkchor bestens bewährte. (Sendung am 7. April um 20 Uhr in ö 1.)

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