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Die große Angst vor der Reform

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Budgetsanierung und Steuerreform sind eine Einheit. Ein Verzicht auf Steuereinnahmen, ohne gleichzeitig mutig auf der Ausgabenseite den Rotstift anzusetzen, führt kerzengerade in noch höhere Verschuldung und in der Folge zu noch empfindlicherer Steuerbelastung.

Daher galt bisher für eine grundlegende Änderung des Steuersystems zu mehr Gerechtigkeit und besserer Uberschau-barkeit die Prämisse, sie aufkommensneutral zu gestalten. Das war einmal.

Niemand, verbürgt sich Kanzler Franz Vranitzky, der nichts versprechen will, was er nicht halten kann, werde nach der Reform mehr Steuern zahlen müssen als zuvor. Viele aber weniger. Das ist der unausgesprochene Sinn der Reform.

Sie wird nicht aufkommensneutral sein. Sie setzt ein ausgabeseitiges Sparprogramm voraus, das sich gewaschen hat. Dieses fehlt.

Dafür mangelt es nicht an Uber- und Festlegungen für eine Steuerreform. Zwei Möglichkeiten werden angeboten: eine spürbare Senkung der Steuersätze durch die radikale Beseitigung von Ausnahmen; und eine geringere Entlastung durch Beibehaltung von Begünstigungen.

Die Theorie der Beseitigung von Steuerprivilegien zugunsten eines geringeren Steuersatzes hat einen Haken. In der Praxis profitiert der Staat nämlich durchaus durch das geltende Steuerrecht: Weil viele ganz einfach keinen Uberblick mehr haben, welche Ansprüche auf Steuerermäßigung sie anmelden könnten, zahlen sie Steuer, die sie nicht zahlen müßten.

Im Interesse der Steuergerechtigkeit muß die Reform hier ansetzen. Das heißt aber, daß nicht nur die angemeldeten, sondern auch die theoretischen Ansprüche in Rechnung gestellt werden müssen.

Ein Zahnrad greift ins andere. Soll etwa die Wohnraumbeschaffung, soll die private Vorsorge weiterhin nicht mehr steuerlich begünstigt sein? Droht dann nicht der Zusammenbruch des Wohnbaus, der Kollaps für wesentliche Bereiche der Versicherungswirtschaft?

Da geht es um ebenso komplizierte wie grundsätzliche Gestaltungsfragen, nicht nur um Reizthemen wie Urlaubs- oder Weihnachtsgeld und Uberstunden.

Das einem Volksentscheid abzutreten, ist eine Schnapsidee, auch wenn Michael Graff deshalb eilig Franz Vranitzky zuprostet. Da tritt die Politik ab, noch ehe sie angetreten ist, direktdemokratische Ersatzbefriedigung soll Entschlußfurcht kaschieren.

Bei aller Hochschätzung der Bürgerbeteiligung: Keine Volksbefragung, keine Volksabstimmung kann die Verteilungsprobleme entscheiden, die eine ernstzunehmende Systemänderung aufwirft. Probleme? Es werden Verteilungskämpfe sein müssen.

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