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Ermutigende Einzelfälle

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Die Abgeordneten zum Nationalrat Michael Graff und Christian Brünner haben den bis jetzt noch seltenen Mut bewiesen, bei Gesetzen, die ihnen wichtig sind, ihrem Gewissen zu folgen und nicht mit ihrer Partei zu stimmen.

Eigentlich sollte eine solche Vorgangsweise, die etwa im britischen Parlament, der Mutter aller Parlamente, an der Tagesordnung ist, selbstverständlich’ seih. 1h Österreich aber ist dem keineswegs so. Unser starres Listenwahlrecht, das durch die letzte Reform nur einen sanften Schub in Richtung Personalisierung erfahren hat, begünstigt derartige Vorstöße keineswegs, sondern erschwert sie, ja macht sie zu Ausnahmefällen. Denn die wirksamste Sanktion, die dem Partei willen Zuwiderhandelnde zu fürchten haben, ist die, nicht mehr aufgestellt zu werden oder durch die in der Regel nach wie vor unterschriebene, verfassungswidrige Blankoverzichtserklärung entfernt zu werden.

Es ist denn auch kein Zufall, daß es ein gut verdienender Rechtsanwalt und ein angesehener Universitätsprofessor waren, die als erste Schwalben zwar noch keinen Sommer einleiteten, aber doch eine Änderung der Tendenz signalisierten, die noch ihre Zeit brauchen wird, um sich durchzusetzen, die aber in Stärkung begriffen ist. Vorläufig können es sich nur Persönlichkeiten, die über ideelle und materielle Reserven, über berufliche Alternativen verfügen, leisten, aus der Parteifront auszubrechen und eigene Wege zu gehen. So lange es eine Mehrheit von Abgeordneten gibt, die entweder keinen Beruf haben und daher auf Gedeih und Verderb ihrer Partei ausgeliefert sind, oder die Rückkehr in diesen Beruf als sozialen Abstieg empfinden und um die Aufrechterhaltung ihres Lebensstandards bangen, werden Ausritte wie die Graffs und Brünners nur vereinzelte Bravourstücke bleiben. Der Hebel, um unser Parlament qualitativ zu heben und die Abgeordneten mit mehr Selbstbewußtsein auszustatten, wäre bei der Änderung der Auswahlkriterien und einer weiteren Reform des Wahlrechtes anzusetzen. Bis dahin wird das Parlament das Bild der Unterwürfigkeit gegenüber den Parteien und der Regierung bieten, das es bereits heute bietet.

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