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Frau Polizist Bandaranaike

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Für 7000 Schilling erkauft man Flug, Badestrand, Hotelzimmer. Poch die Tage der sonnigen Unbekümmertheit verbringt man auf der Insel Ceylon neben Bittennis und Polizeigewalt. Griechische Urlaube gibt es auch im Indischen Ozean. Ein fehlgeschlagener Bandaranaike-Sozialismus und die konterrevolutionären Folgen einer Rebellion der Jugend haben die Persöniichkeits-veränderung verursacht. Ceylon, die Insel der buddhistischen Harmonie mit freier Reiszuteilung in einem Sozialismus der Toleranz und der Humanität, gibt es nicht mehr. Der freie Reis für jedermann war das Symbol, die freie Manifestation von Persönlichkeit und Meinung war die

Substanz. Der Reis ist heute rationiert — und meistens ausschließlich auf dem schwarzen Markt. Jede oppositionelle Meinung löst den Mechanismus der Polizeiverordnungen aus. Wie Indira-Sozialismus dn Indien ist Bandaranaike-Sozialismus auf Ceylon der Mantel für ein persönliches Regime und Staatskontrolle. Kontrolle genießt absolute Priorität. Jede Entwicklung bleibt im Sand der Bürokratie stecken. Der nationale Sozialismus hat die wirtschaftliche Hilfsbedürftigkeit verstärkt. Bei einer Wachstumsrate von 0,5 Prozent rivalisieren Moskau und Peking durch Lieferung des Notwendigsten um Einfluß. Erfolgreich auf dem indischen Subkontinent, hat Moskau bei weitem die bessere Hand. „Jetzt löst die UdSSR hier das Problem des Machtvakuums“, sagte Kueneman, ein aus der Partei ausgeschlossener Kommunistenführer.

Ceylon hat nie um seine Freiheit vom englischen Kolonialismus gekämpft. Die Freiheit fiel auf die Insel wie eine Kokosnuß von der Palme. In den ersten Jahren entstand aber das Bild einer wahrhaft jungen Demokratie und eines neuen Sozialismus aus buddhistischem Geist und fabianistischer Erbmasse. Die Ermordung des sozialistischen Ministerpräsidenten Bandaranaike schien nur ein Gewitter im Hochsommer zu sein. Der Schock überwand sogar die alten Spannungen zwischen der singhalesischen (malaiischen) Majorität und der tamil-indi-schen Minorität. Von der Einheit der Empörten erhielt die mütterliche Witwe den Wählerauftrag zur Nachfolge. Doch die Nachfolge zwang zum Kampf gegen die wirtschaftliche Widersprüchlichkeit des Inselsozialismus. Aus der mütterlichen Witwe ist längst eine Machtpolitikerin sozialistischen Bekenntnisses und nationalistischer Richtung geworden. Die Folgen des immer dichter werdenden Netzes von Kontrollen und Beschränkungen in der Privatwirtschaft haben Ceylon in eine Insel der Arbeitslosigkeit und der Nahrungsmittelknappheit verwandelt. Die Folgen des gnadenlosen Niederschlagens des als „trotz-kistisch“ markierten Aufstandes der Jugend von 1971 haben Ceylon in eine Insel der Notverordnungen und des Polizeirechtes verwandelt.

Chaos, Notstand und Zerrüttung bahnen auf der vorgelagerten Insel

wie auf dem Subkontinent dem sowjetischen Einfluß den Weg. Im Jahr der sowjetischen Hilfe für die indische Intervention in Bangladesh hat Frau Bandaranaike mit sowjetischen Waffen die „trotzkisti-sche“ Rebellion in Ceylon unterdrückt. Mit Hilfe der indischen Regierung und des kommunistischen Gewerkschaftsbundes in Indien wurde die aus Südindien stammende Tamilen-Minorität auf Ceylon zur Stütze des Bandaranaike-Sozialis-mus umgewandelt. Von Dakka bis Colombo hat sich in diesem Jahr — 1971 — der Einfluß der Sowjets ausgebreitet. Die Schwierigkeiten der folgenden Jahre boten die Möglichkeiten zur Konsolidierung.

Der Niederschlagung der Rebellion von links folgten gut gezielte Schläge gegen die oppositionellen Zeitungen und Parteien der Mitte und der Rechten. Den Polizeimaßnahmen gegen die linksradikale Jugend folgten Maßnahmen gegen die Privatwirtschaft. Mehr als 10.000 Jugendliche befinden sich seit 1971 ohne Urteil in Polizeilagern; neue Notverordnungen geben der Polizei unbeschränkte Vollmachten gegen Studenten und Dorf Jugend. Mehr als 40 Prozent der Privatunternehmen sind seit 1971 gesperrt. Neue Wirtschaftsverordnungen sollen den Rest unter die Kontrolle der Staatsmonopole bringen.

In dieser Situation schiebt die Sowjetunion, mit dem Subkontinent als Basis, ihren Einfluß über die Insel vor. Hafen, Werft, Bahntrassen werden von indischen Firmen auf sowjetische Kosten repariert und vor dem Verfall bewahrt. Freilich, Getreide und Reis werden Ceylon vorenthalten. Zu solchem Aufwand wie in Indien und in Bangladesh, die sowjetische Getreidedarlehen aus dem in den USA gekauften und von den USA subventionierten Beständen erhielten, besteht in Ceylon nicht die Notwendigkeit. Denn China spielt in Ceylon das Spiel mit einer schwachen Hand. Die chinesischen Kommunisten haben 1971 im entscheidenden Moment die Rebellion verraten — und das Vertrauen der Bandaranaike doch nicht gewonnen.

In Ceylon wie in vielen anderen Ländern Asiens hat Moskau seit dem Nixon-Besuch in Peking die chinesischen Kommunisten auf dem Feld der kommunistischen und der linksnationalistischen Politik geschlagen. Die radikale Jugend vergißt nicht den Verrat der chinesischen Kommunisten, in deren Namen sie 1971 die Rebellion gewagt hatten. Die offizielle Linke der Regierungskoalition, Moskau-Kommunisten, Ceylon-Titoisten und natürlich Frau Bandaranaike selbst, mißtrauen Peking seit der Rebellion von 1971. Pekings Versuche auf der Ebene der neuen chinesischen Außenpolitik — Koexistenz mit Wirtschaftshilfe für die etablierten Regierungen — sind kostspielig und im politischen Kontovergleich mit den Sowjets ein Defizit. Durch zinsenlose Kredite von 500.000 Dollar, Lieferung von Reis unter dem Welt-

marktpreis, Einkauf von Ceylon-Kautschuk über dem Weltmarktpreis sollten die Chinesen 1972 den Sowjets verwehren, was Moskau seit der Rebellion von 1971 zufließt: die Ankoppelung der Insel an die Zone der Pax Russica auf dem indischen Subkontinent. Doch beide Gruppen, die radikale Linke in Polizeilagern und in Oppositionszellen und die Regierungslinke haben sich einem „Antiimperialismus“ verschworen, der in einer chinesisch-amerikanischen Annäherung den Verrat Asiens, in einer sowjetischamerikanischen Detente eine eher auf Europa bezogene Sowjettaktik sieht. Pekings Abwehr von der revolutionären Politik hat die radikale Linke, Pekings Zuwendung zur USA hat die etablierte Linke für den „Antiimperialismus“ sowjetischer Tönung empfänglich gemacht.

Wie Indira in Indien, gelingt es der Bandaranaike in Ceylon, die Erbitterung über den sinkenden Lebensstandard, die Hoffnungslosigkeit angesichts der unbewältig-ten Bodenprobleme und der lawinenartigen Arbeitslosigkeit auf die Formel des Klassenkampfes der armen gegen die reichen Länder abzulenken. Als am 23. September plötzlich kein Reis mehr auf den

Märkten war, wurde ein Volk der ungezwungenen Fremdenfreundschaft plötzlich mit schweren Dosen von Chauvinismus abgespeist. Sechs Tage lang war Colombo ohne Reis, sechs Tage des pausenlosen „Klassenkampfes“ aller Zeitungen und Radiostationen gegen die „reichen Nationen“.

Am 27. September gab es dann wieder Reis. Die Rationen waren um 30 Prozent gekürzt und der Wucherreis auf den freien Märkten kostete um 80 Prozent mehr. Rationskür-zumg und Preissteigerung gehörten zur Inflation aus Miß- und Mangelwirtschaft. Unter der Propaganda des Bandaranaike-Sozialismus schrieb man alles dem Finanzimperialismus der reichen Staaten zu. Jetzt gab es eine neue Einheit. Der Bandaranaike-Sozialismus in Ceylon, der Indira-Sozialismus in Indien führten den neuen Klassenkampf gegen die reichen Staaten für die Neuaufteilung der Güter dieser Erde. Eine Woche später, Anfang Oktober, jubelte die Presse von Ceylon Indiens Finanzminister bei der IMF-Konferenz in Nairobi zu. „Mit seiner Verurteilung der reichen Nationen auf der IMF-Konferenz in Nairobi hat der indische Finanzminister Chavan die Schuldigen an Nahrungsmittelnot und Preissteigerung getroffen“ hieß es in der offiziellen Stellungnahme der Regierung. Tatsächlich: mit seiner Forderung nach einer gerechten Aufteilung aller Mittel hat Finanzminister Chavan in Ceylon und in seinem eigenen Land die Hoffnung auf einen Anteil an allen Gütern der Erde, an Rohstoffen und Industrie-

produkten ohne Einsatz und ohne Produktivität erweckt.

Unter dem Schatten der Not, Mißwirtschaft und Zerrüttung auf dem riesigen Subkontinent wuchert die Korruption auch auf der vorgelagerten Insel im Indischen Ozean. Mit der Zugkraft des neuen Klassenkampfes der zurückgebliebenen Staaten gegen die Industriestaaten sucht auch die Bandaranaike eine Verlängerung ihrer Vollmachten für die Etablierung ihres Ceylon-Sozialismus. Geschickt, doch nicht ganz ohne böse Vorahnungen nützt die UdSSR die wirtschaftliche Hoffnungslosigkeit aus und lenkt den für sie selbst nicht ungefährlichen neuen „Klassenkampf“ gegen die USA und deren „Verbündeten“, Rotchina.

Zwischen der Not auf dem indischen Subkontinent und der Not auf der vorgelagerten Insel gibt es Zehntausende von Wanderern. Das Leben auf der ständigen Flucht vor dem Hunger ist die Wirklickeit. Kerala ist die Entstation von mehr als 50.000 Tamilen, die vor der Arbeitslosigkeit und der Reisnot aus Ceylon geflohen sind. Die Slums um Kerala wachsen an jedem Tag um zumindest 300 Ceylon-Tamilen, die ihren letzten Heller für die .Reise riskiert haben. In Kerala finden sie viel Verwandtes: eine nationalistisch-kommunistische Koalitionsregierung, Reismangel, Arbeitslosigkeit, Hoffnungslosigkeit. In den Slums von Kerala keimt die Hoffnung auf eine bessere Situation in Ceylon. Die noch etwas Geld haben oder verdienen können, treten den Rückweg an.

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