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Scheitern — neu beginnen

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„Wer sich helfen läßt, ist gesund.“ Auf diese vielleicht überspitzte Formel bringt Pater Georg seine täglichen Erfahrungen im Umgang mit „Randexistenzen“ der Gesellschaft.

Georg Sporschill SJ leitet drei Heime der Nichtseßhaftenhilfe der Caritas. In diesen Häusern (einem Jugendheim und zwei Männerheimen — ein Haus für Frauen ist zur Zeit in Vorbereitung) finden Alkoholiker, Dro-

genabhängige, Strafentlassene und andere Gescheiterte Aufnahme — Menschen, die sehr viel Hilfe brauchen, diese aber nur schwer annehmen können.

,JDie ganze Methode der Resozialisierung in diesen Häusern ist der gemeinsame Alltag“, sagt Pater Georg. Mit einem Jugendhaus in der Blindengasse in Wien-Josefstadt hat er vor vier Jahren begonnen. Als Jugendseelsorger machte er damals die Erfahrung, daß für viele Jugendliche die Pfarrgemeinde „einfach nicht zu verkraften ist“.

Seine Mitarbeiter - Theologiestudenten, die ihr Praktikum absolvieren, Mitbrüder aus dem Jesuitenorden und Sozialarbeiter — ■wohnen selbst in den Häusern. Es gibt keine Dienstzeiten, sondern nur das gemeinsame Leben mit allen meinen^Schwierigkeitenr gemeinsames Essen, gemeinsames Bangen in der Gerichtsverhandlung, Aushalten handgreiflicher Konflikte und gemeinsamer Gottesdienst.

So versammelt sich im Caritas-Haus Van-der-Nüll-Gasse 56, wenige Meter von der Einkaufsstraße in Favoriten entfernt, eine vom Leben gezeichnete, an Leistungsund Konsumdenken gescheiterte Christenheit, um die Messe zu feiern. Die Kapelle, ein fensterloser Raum, befindet sich im Keller. Kahle Ziegel- und Steinwände, Schlafstellen auch in den Gängen des Kellergewölbes.

Der Mesner ist Franz, ein ehemals völlig abgeschriebener Alkoholiker. Als er in das Caritas-Haus kam, war er auch körperlich am Ende; ein Unfall, die Beine sechzehnmal gebrochen, die Milz entfernt. Jetzt betreut Franz den Hasenstall im Heim und trinkt beträchtlich weniger. Für Pater Georg ist es „ein Wunder, daß der seine 24 Hasen so liebt“.

Ein anderes Caritas-Haus beherbergt einen unheübar Krebskranken, der es ablehnt, in ein Krankenhaus oder Altersheim zu gehen. Er will im Heim sterben.

„Die Frage nach dem Erfolg“ ist für Sporschill „die Frage eines Außenstehenden, der das Leiden an der Gesellschaft nicht kennt. Leiden kann man nicht einfach abschaffen.“ Diese Ausgestoßenen sind nicht einfach unbedeutend. „An ihnen offenbart sich, welche Werte in einer Gesellschaft zählen, ob einzig Leistung, Geld und die Angst um das eigene Versorgtsein im Vordergrund stehen oder auch anderes.“

Auch sollte die Frage nach der Schuld der in Not Geratenen auf keinen Fall ein Kriterium für das Helfen sein. Resozialisierung

durch Gemeinschaft könnte man sein Bemühen und das seiner Mitarbeiter nennen.

Ein Bemühen, das freilich auch Verständnis und Geduld derjenigen erfordert, die in der Umgebung dieser Heime wohnen. Pater Georg versteht, „daß es für viele Bürger nicht selbstverständlich ist, mit einem Jugendhaus für schwierige Menschen zu leben“.

Dennoch hoffen Georg Sporschill und seine Mitarbeiter, daß ihr Sozialexperiment als solches von der Umwelt verstanden und mitgetragen wird.

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