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mozaik

DISKURS
mozaik - © Illustration: Rainer Messerklinger

Großmutters Begräbnis

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FURCHE-Redakteurin Manuela Tomic ist in Sarajevo geboren und in Kärnten aufgewachsen. In ihrer Kolumne schreibt sie über Kultur, Identitäten und die Frage, was uns verbindet.

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FURCHE-Redakteurin Manuela Tomic ist in Sarajevo geboren und in Kärnten aufgewachsen. In ihrer Kolumne schreibt sie über Kultur, Identitäten und die Frage, was uns verbindet.

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Z u ihrem 80. Geburtstag erschien meiner Großmutter ihre verstorbene Freundin Milka im Traum. „Komm zu mir, Kata, ich langweile mich zu Tode“, rief Milka und streckte Großmutter ihre Hände entgegen. Doch diese winkte ab: „Lass mich in Ruh’, Milka, ich komme später“. Das war Großmutters schwarzer Humor, der alle zum Lachen brachte. Großmutter war streng katholisch und jeden Tag ging sie in ihr Zimmer, um stundenlang zu beten. Begräbnisse scheute sie aber wie die Pest. Heulende Menschen konnte sie nicht ertragen. Immer, wenn jemand im Dorf verstarb, sagte sie: „Mit dem habe ich längst abgeschlossen“ und schnippte die Asche ihrer Zigarette trotzig auf den Betonboden des Balkons.

Ihre Lebenszeit feierte sie lieber auf Hochzeiten, beim bosnischem Turbo-Folk, der laut aus dem Fernseher dröhnte oder beim Small-Talk mit ihrem Friseur. Vor ihrem 83. Geburtstag verstarb meine Großmutter. Als der Nachbar sie auffand, lief im Hintergrund immer noch der Turbo-Folk. Viele weinende Menschen kamen zur Totenwache, darunter auch ich. Erschöpft von der zehnstündigen Reise blickte ich Großmutter ins Gesicht. Sie sah schön aus. Ob sie schon mit Milka Karten spielt und raucht? Jedenfalls war sie nicht einmal auf ihrem eigenen Begräbnis.

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