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mozaik

DISKURS
TeufelsbratenNEU - © Rainer Messerklinger

Teufelsbraten

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Diese Woche geht es in Manuela Tomics Kolumne "mozaik" um Ärzte und Kalbsbraten.

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Diese Woche geht es in Manuela Tomics Kolumne "mozaik" um Ärzte und Kalbsbraten.

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Vor jedem Arztbesuch wickelte Mutter Opa Ivos Kalbsbraten in Aluminium und legte ihn in den Plastiksack neben Wiener Kaffee, Zuckerwürfeln und einer kleinen Flasche Schnaps. Der dicke Arzt öffnete die Tür, blickte in das Wartezimmer, das voller hustender Erwachsener und plärrender Babys war. Er roch Mutters Braten und erspähte die Opfergabe. Er rieb sich die fleischigen Finger und bat Mutter freudig, als Erste hereinzukommen. Kalbfleisch war in Jugoslawien ein wortwörtliches Schmiermittel. Als meine 24 Jahre junge Mutter schwer erkrankte, musste sich Ivo ganz besonders ins Zeug legen, um das zarteste Fleisch zuzubereiten. Unzählige Kilo Kalbfleisch und viele Arzttermine später wurde Mutter schließlich in Zagreb am Magen operiert. Sie überstand den gefährlichen Eingriff. Vater und Schwester besuchten sie im Spital. Als sie wieder zu Kräften kam, befahl der Arzt ihr, sie dürfe nie wieder schwanger werden, da dies lebensbedrohlich sei. Dann wünschte er ihr alles Gute. Mutter wurde wieder gesund, und Ivo konnte das gesamte Kalb für seine Gäste im Gasthaus verbraten. Mit 27 wurde Mutter trotz ihrer großen Narbe schwanger und die gesamte Familie panisch. Neun Monate später, an einem heißen Julitag, kam ich, ein wahrer Teufelsbraten, im Entbindungsheim Jezero in Sarajevo zur Welt. Das Kalbfleisch hatte Mutters Leben gerettet und mir meines geschenkt.

FURCHE-Redakteurin Manuela Tomic ist in Sarajevo geboren und in Kärnten aufgewachsen. In ihrer Kolumne schreibt sie über Kultur, Identitäten und die Frage, was uns verbindet.

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