
Džin: Gespiegelte Dämonen
Džin, die ambivalenten Dämonen, aus rauchlosem Feuer erschaffen, hatten wir Balkaner in unserer Alltagssprache ausschließlich positiv besetzt. Auf dem Balkan identifizierte man sich also mit den Dämonen.
Džin, die ambivalenten Dämonen, aus rauchlosem Feuer erschaffen, hatten wir Balkaner in unserer Alltagssprache ausschließlich positiv besetzt. Auf dem Balkan identifizierte man sich also mit den Dämonen.
Meine Großmutter war ein Džin. So nennt man in meiner Muttersprache Menschen mit ungeahnten Kräften. Im Ex-Jugoslawien der 1950er Jahre zog sie drei Kinder allein auf, da mein Großvater jung verstarb. Nie beschwerte sie sich über ihr Schicksal. Ihre Welt war in Ordnung. Dafür sorgten die regelmäßigen Termine bei ihrer Friseurin Mira und die täglichen Gespräche mit Kršo, dem Taxifahrer.
Als Kind wusste ich nicht, dass die Džin, diese unsichtbaren Geistwesen, aus dem arabisch-islamischen Raum zu uns gewandert waren. Wenn ich mit guten Noten von der Schule kam, sagte meine Mutter zu mir: „Du bist ein Džin“, und hob ihre Arme, sodass man ihren Bizeps sehen konnte. Vielleicht haben wir die Sache mit den Džin auch nur falsch verstanden. Schließlich können sie dem Volksglauben nach gut oder böse sein. Sie verfügen über einen Charakter, handeln, wie es ihnen beliebt. Vielleicht ist bei der Wanderung etwas schiefgegangen. Diese ambivalenten Dämonen, aus rauchlosem Feuer erschaffen, hatten wir Balkaner in unserer Alltagssprache ausschließlich positiv besetzt. Auf dem Balkan identifizierte man sich also mit den Dämonen. Wir konnten uns sogar in ihnen spiegeln, zogen aus dem Feuer etwas Mächtiges.
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