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mozaik

DISKURS
Lüftchentod - © Illustration: Rainer Messerklinger

Promaja

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FURCHE-Redakteurin Manuela Tomic ist in Sarajevo geboren und in Kärnten aufgewachsen. In ihrer Kolumne schreibt sie über Kultur, Identitäten und die Frage, was uns verbindet.

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FURCHE-Redakteurin Manuela Tomic ist in Sarajevo geboren und in Kärnten aufgewachsen. In ihrer Kolumne schreibt sie über Kultur, Identitäten und die Frage, was uns verbindet.

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Mein Onkel ist auf dem linken Auge blind, auf dem linken Ohr taub. Schuld daran ist die Promaja, die Zugluft. „Sie hätte mich fast umgebracht“, erzählt er gerne in großen Familienrunden. Eines Sommertags in den 80ern ging Onkel direkt nach dem Friseur in die Bar. „Die Haare waren halbnass und die Klimaanlage blies mir den Kopf weg.“ Mit weggeblasenem Kopf legte sich Onkel Stunden später schlafen. Als er am nächsten Tag aufwachte, sah und hörte er auf der linken Seite nichts mehr. Seit ich denken kann, warnt mich Mutter vor der Promaja, dem Lüftchentod, um den sich balkanische Familienlegenden ranken. Die Furcht vor der Promaja ist so groß, dass mein Vater sie häufig herbeiredet. „Ist irgendwo ein Fenster offen?“, fragt er nervös, als würden böse Geister mit der frischen Zugluft eindringen. Doch sein Bruder, der hagere Zugluftveteran, kennt keine Furcht. Im Gasthaus mimt er gerne Leute nach, erzählt Frauen- und Kriegsgeschichten. Seinen Humor hat er nicht verloren. „Ich höre und sehe doch nichts“, schmunzelte er, „was für ein Glück.“ Mein Onkel, mein Vater und Ich haben alle die gleichen abstehenden Ohren. Wir sind ganz Ohr für die Promaja, deren feinsten Hauch wir ständig verspüren und verorten. Bei der kleinsten Änderung der Windrichtung schlägt Humor in Furcht, Furcht in Humor um.

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