#

mozaik

DISKURS
mozaik - © Illu: Rainer Messerklinger

Kič

19451960198020002020

Diese Woche geht es in der Kolumne von Manuela Tomic um den Balkan und den Kitsch: eine sehr enge Beziehung.

19451960198020002020

Diese Woche geht es in der Kolumne von Manuela Tomic um den Balkan und den Kitsch: eine sehr enge Beziehung.

Werbung
Werbung
Werbung

n der Nacht trällert Vater schmalzige Schnulzen, während Mutter kuschelige Kochsendungen schaut. „Wer hat dich mir weggenommen, Tamara?“, singt er vom Balkon in den Sternenhimmel über dem Kreisverkehr. In unserem Wohnzimmer, der Familienbühne, hängt ein Abklatsch von Monets Mohnwiese, ein Moulin-Rouge-Aquarell und ein Acrylregenbogen, den ich in einer dunklen Stunde malte. Auf den Servietten prangen Küken und Elefanten, die Kuh auf der Milka-Tasse muht. Die Porzellanengel auf der Kommode wachen über die Familienfotos und gähnen genüsslich. Keine Frage, meine Eltern sind dem Kitsch verfallen. Das ist kein Wunder, denn schließlich haben wir den Kitsch erfunden. Vermutlich kommt das Wort „Kitsch“ 1878 zum ersten Mal in einem Gedicht vor, in dem Max Bernstein ein Gemälde des Pferdemalers Franz Adam verspottete. Das Gemälde hieß „Bosnische berittene Insurgenten“ und die Verse lauteten: „Bosnisch Getümmel! Bosnische Schimmel! / Bosnische Männer auf ‚itsch‘ und ‚ritsch‘! / Bosnische Berge! Bosnischer Himmel! / alles echt bosnischer ‚Kitsch!‘“ Wenn ich schreibe, versuche ich schneller als die Insurgenten zu reiten, die auf ihren Schimmeln unter dem Regenbogen Vaters Liebeslied zu Ende singen: „Du hast deine Tränen anderen verkauft / in der Nacht träume ich von deinen Fährten / dort, wo verlorene Mädchen hingehen.“ Doch es hilft nichts. Als Tomić bleibe ich ein verlorenes Mädchen und Opfer des Kič’.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung