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mozaik

DISKURS
mozaik - © Illu: RM

Tintenkiller

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FURCHE-Redakteurin Manuela Tomic ist in Sarajevo geboren und in Kärnten aufgewachsen. In ihrer Kolumne schreibt sie über Kultur, Identitäten und die Frage, was uns verbindet.

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FURCHE-Redakteurin Manuela Tomic ist in Sarajevo geboren und in Kärnten aufgewachsen. In ihrer Kolumne schreibt sie über Kultur, Identitäten und die Frage, was uns verbindet.

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Im Deutschunterricht kitzelte mich der Tintenkiller. Wenn der strenge Herr Lehrer Z. im monotonen Marschton die Geschichte vom „Glücklichen Schwein“ diktierte, fing meine Füllfeder an zu zittern. Herr Z. behauptete, ich werde es nie aufs Gymnasium schaffen. Um mich zu beweisen, musste ich beim Diktat schweinisch aufpassen oder einfach nur Schwein haben. Die Linien im Heft verwandelten sich in wackelige Hängebrücken. Das kleine g und das kleine j verhakten sich tollpatschig in den Seilen und glotzten in den Abgrund. Das große D kam nicht mehr vorbei und kugelte auf den Bauch. Ich redete ihnen gut zu, während die Buchstabenschlange anschwoll. Erst die Angst vor dem Tintentod löste den Stau und machte meine verkrampften Finger wieder lebendig. In der Nacht träumte ich, wie sich die riesige rote Schlinge des F am Korrekturrand um mein Schülerhälschen zuzog. Am nächsten Morgen warf mir Herr Z. das Diktatheft um die Ohren. Er hatte das „Glückliche Schwein“ mit seinem Rotstift von A bis Z geschlachtet. Heute ist der Tintenkiller tot, er starb gemeinsam mit der Füllfeder den Liebestod. Die Angst vor ihm lebt aber weiter. Meine Buchstaben bibbern immer noch. Sonst würde ich nicht so panisch in die Tasten tippen. Was Herr Z. heute grunzen würde? „Befriedigend, setzen!“

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