
Cockta und Čolić
Mit seinem Fićo, einer kleinen hellblauen Kiste, rollte er den Abhang hinunter, riss dabei die Autotür auf und lehnte sich weit hinaus. Ich stelle mir sein schelmisches Lachen vor, das seine großen Ohren wackeln lässt.
Mit seinem Fićo, einer kleinen hellblauen Kiste, rollte er den Abhang hinunter, riss dabei die Autotür auf und lehnte sich weit hinaus. Ich stelle mir sein schelmisches Lachen vor, das seine großen Ohren wackeln lässt.
Als Teenager hatte Mutter nur Augen für den jugoslawischen Popstar Zdravko Čolić. Mit Lederjacke und langen braunen Haaren schmachtete er Mutter von seinem Albumcover „Ti i ja“, „Du und ich“, an. Čolić verkörperte das neue Jugoslawien, eine Pop-Nation im Cockta-Rausch, die einen jungen Wilden im roten Lederanzug vergötterte. Cockta, das war das kommunistische Coca-Cola.
Von dem picksüßen Getränk berauscht, lernte meine Mutter meinen Vater kennen. Auch er trug schulterlanges Haar und eine braune Lederjacke. Seine Oberlippe wurde von einem dichten Schnauzbart bedeckt. Vater roch nach Zigaretten und Rakija und war wie James Dean für jeden Stunt bereit. Mit seinem Fićo, einer kleinen hellblauen Kiste, rollte er den Abhang hinunter, riss dabei die Autotür auf und lehnte sich weit hinaus. Ich stelle mir sein schelmisches Lachen vor, das seine großen Ohren wackeln lässt. Als ich im letzten Urlaub mit meiner Familie in Istrien auf einer Terrasse am Meer saß, ertönte zwischen den Jugendhits meiner Eltern plötzlich eine tiefe Chanson-Stimme aus dem Radio, die mir noch unbekannt war. Es handelte sich um den Mentor von Čolić, den legendären Liedermacher und Poeten Arsen Dedić.
Auf einem Jugendfoto aus den 1950er-Jahren hält er einen Stift in der Hand, wirkt nachdenklich, seine Augen wie zwei schwarze Höhlen, die Haare glattgescheitelt. Er war der stille Antiheld, den ich so lange suchte. „Der ist doch viel besser als Čolić“, sagte ich zu Mutter, aber sie winkte nur ab: „Zu melancholisch!“ Vaters abenteuerlichen und spitzbübischen Kunststücke überzeugen sie seit 43 Jahren. Cockta und Čolić sind für mich nichts. Ich Feigling höre lieber Dedić, trinke Cola statt Cockta und mein Freund hat keinen Führerschein.
FURCHE-Redakteurin Manuela Tomic ist in Sarajevo geboren und in Kärnten aufgewachsen. In ihrer Kolumne schreibt sie über Kultur, Identitäten und die Frage, was uns verbindet.
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