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Vom Feuer in der Welt...

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Ach, morgen vielleicht schon, dachte der Mann und schloß für Sekunden die Augen. Wie erschöpft lehnte er den Kopf an die kalte, schmutzige Zellenwand. Morgen vielleicht schon. Ein dumpfer Fall und selbst das kleine, erbärmliche Stück Himmel, das von den vier kahlen Gefängnismauern übriggelassen worden war, zerbrach, erlosch. Und dann ... Nirgends ein Vogellied mehr, nicht nah, nicht fern, nicht zwischen den Gitterstäben, nicht über den steilen, lichtmordenden Dädiern! Ach, morgen vielleicht schon der nur wie ein heimliches Streicheln sich ausnehmende Druck einer goldring-geschmückten Hand auf den winzigen Knopf, auf den wie ein Wolfsauge funkelnden Knopf in dem stumpfen, geschmiedeten Rahmen und...

„... und wie ein Blitz durchfährt e dich, glatt, ohne zu versagen. Ist eine gute Arbeit, die geleistet wird...“ Tief und gesdimeidig lag die Stimme in dem engen Raum, beharrlich, weich, wie ein fremdes, irisierendes Tier. „Sie wissen den Stahl zu sdiärfen.“ Da erhob sich der Mann von seinem Strohlager. Doch wie er sich auch drehte und ein Antlitz verbarg, die Stimme stand immer vor ihm. Wie er sich auch wandte oder bog, die Stimme lag ihm in den Ohren und schnalzte genießerisch mit der Zunge. „Du hast es schon so oft versucht“, lachte sie, „und immer ist es vergeblich gewesen. Warum, sag, sollte es dir heute gelingen?“ Dunkelheit brach durch das Zellenfenster.' „Ich bin schon oft neben dir gewesen, auf der Schulbank schon.“ Da löste der Mann den Blick von der Zellenwand und begann umherzuwandern. „Ich weiß“, sagte er, „auf der Schulbank schon. Immer, wenn etwas nicht gelingen wollte, nicht aufgehen, ein Rechen-exempel zum Beispiel, ein verschlungener Satz, Gerundium, Gerundivum.“

„Und immer hast du gezittert dabei, gestöhnt, geschludrzt.“ Mit breiten Schritten lief die Stimme nebenher. „Ich bin dein Feind, hörst du, dein Feind, und es bereitet mit Spaß, dich weinen zu sehen, es macht mir wirklich Freude, es ... Weißt du, wie süß deine Tränen schmecken? Denk nur an Irene, seinerzeit, als...“

„Da warst du auch dabei! Dachte ich mir's doch, alter Feind. Immer, immer, wenn es irgendwo ein Erschrecken gab, ein Zurückweichen oder Straucheln' irgendwo, immer mein Feind, bist du ...“ Aber da unterbrach ihn die Stimme schon wieder. „Oder damals, als das Auto in die Menge raste und du es nicht mehr herumreißen konntest. O es war wunderediön, dich so gebrochen zu sehen. Jeden einzelnen Schrei trug ich dir zu, behielt ihn für dich, und in den Nächten dann, in vielen, vielen darauffolgenden Nächten, jedes Stöhnen, Kreischen, jedes Röcheln. Oder damals als Spätzlein ertrank, gerade als du einmal nicht hinsahst, deine Jüngste.*

„Ich sehe es noch vor mir.“ Unhörbar schritt der Mann. „Aber es ist lange her und Gott hat viele Nächte.“ Da lachte di Stimme auf. .Gott?“ Es klang wi Hahnengeschrei. „Gott ist sehr müde geworden in letzter Zeit. Und schläft. Undhält das Antlitz abgewandt. Aber ich ...“ Und plötzlich sank die Stimme zu einem wilden, eindringlidien Geflüster herab. „Morgen vielleicht schon, und du trägst das Totenhemd, das halbfreie Hemd aus schwarzem Papier .Morgen vielleicht schon und die Sägespäne trinken dein Blut, und Gabriele. Ich habe sie gestern gesehen, Gabriele ist sdimal geworden und sehr bleich, deine Frau.“ Regen begann zu fallen, fiel gegen das Zellenfenster. Es klang wie Singen ferner Trommeln. „Morgen vielleicht schon. Und alles, was du geträumt, gedacht, ersonnen, getan ...“

„Nein“, unterbrach da der Mann das wilde Geflüster, „nein.“ Aber die Stimme hörte es nicht einmal. „Mit einem Schlag ist es vorbei. Mit einem einzigen kurzen, grellen, blitzenden Schlag. Hör doch, alles, was du geträumt, gedacht, ersonnen, getan.“

„Nie“, und die Augen des Mannes wurden plötzlich schmal und hart, .nie, hörst du, mein Feind. Die andern werden es weiterführen, sie werden es übernehmen, sie werden es fortsetzen, sie —“

„Papperlapapp.“ Die kalte Stimme wollte sich vor Lachen biegen. „Sie werden es weiterführen. Sie werden es in den Abgrund führen. Sie werden es fortsetzen. Adi ja, in ihrem Sinne allerdings. In ihrem kleinen Krämersinn, sie, die übrigbleiben, sind immer die Kleinen, sind immer die Krämer, sie werden es verbiegen und besdimutzen, sie werden sich raufen und streiten darum, sie werde es zerpflücken und zerreißen. Sie werden sich spiegeln wollen darin und es so lange nach ihren Maßen wenden und zurechtrücken, bis es ihre Fratzen endlich als Antlitze widergibt. Sie werden — sie werden — was werden sie nicht alles, Freund. Und du, dein Tod, haha, dein Tod wird ganz vergeblich gewesen sein.“

Da flog die Zellentüre auf. Es war Windhag, der eintrat. Windhag, ein alter und durch die Last der Jahre, die er trug, schon ein wenig wunderlidier Wachtmeister. Umständlich nahm er seine Mütze ab. Mit großen, gutmütigen Händen. „Hören Sie einmal, Mann“, sagte er, „da geb ich Ihnen eins zu rauchen, das muß aber sehr rasch geschehen, weil — ich bin wieder einmal — nämlich ... wenn schon nicht gerade glücklich, so doch, na, Sie sehen ja. Da, Feuer —“ Geheimnisvoll flammte das Streidiholz auf. „Nun ist Kapelka an der Reihe.“ Mit seinem dicken Daumen deutete er nach der Nebenzelle. „Kapelka, und *r hat nur verächtlich gelächelt, als es ihm verlesen wurde. Ach Mann!“ Und ein seltsam verklärtes Leudi-ten flog um das dicke, rote Gesidit, „ach, Mann, ich bin ja immer, immer irgendwie so glücklich, wenn ich es einem von ihnen mitteilen kann. Sie halten mich wohl jetzt für ganz verrückt, für — Aber sehen Sie“ und das Leuchten um seine Lippen vertiefte sich noch. „Wissen Sie eigentlich, was Sie uns schenken damit? Ach, Mann,Venn Sie das wirklich wüßten! Daß die Welt noch nicht ganz ausgebrannt ist, ja, ja, das hat mir Kapelka damit geschenkt. Wo immer er auch gestanden ist, ich frage nicht danach, ich habe noch niemals jemanden danach gefragt, wenn er nur xu sterben dafür bereit war.* Gelb, freundlich lag Licht in dem kleinen Raum. Windhag hatte es eingeschaltet, ehe er eingetreten war. Nun sah es gut, ja beinahe heimelig in der Zelle aus.

.Und sein Tod, ich bin schon sehr alt und habe schon vieles gesehen im Leben, aber sein Tod, ich muß ihn segnen dafür, weil — nämlich, es ist das alles nicht so leicht zu sagen für unsereinen, weil es noch Feuer gibt in der Welt, noch Blut und Treue und nicht nur Feigheit und Geschäftigkeit und kalte Herzen und — weil,weil er auch einer von ihnen war, über die sich die Himmel freuen, über die Gott lächelt in seiner unendlichen Weisheit und Güte.“ Schritte wurden laut. Sie klangen die Stufen herauf und Windhag wandte sich zum Gehen. .Vielleicht ist's morgen schon, daß du — vielleicht erst übermorgen — vielleicht auch gar nicht, Bruder. Aber, weil Ihr immer so bereit dazu seid, das allein.* Dumpf flog die Tür ins Schloß.

.Und was. was meinst du zu alledem?“ Aber die Stimme, die dunkle, heharrliche Stimme schwieg.

Gelb und freundlich lag das Licht in dem kleinen Raum. Windhag hatta vergessen, es auszudrehen, als er ging. Oder war es Absicht gewesen? Nun sah es gut, ja, beinahe heimelig in der Zelle aus.

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