Fünfundzwanzig Jahre ist es her. Hunderte DDR-Bürger, Familien mit Kindern, die den Eisernen Vorhang einfach überrennen. Die ihr bisheriges Leben, alles hinter sich lassen. Weil sie frei leben wollen. Die Bilder vom "paneuropäischen Picknick" an der ungarisch-österreichischen Grenze am 19. August 1989. Alle erzählten später, wie ungemein herzlich sie von den Österreichern empfangen wurden. Kurz darauf öffnete Ungarn offiziell seine Grenzen.
Wir waren damals Zelten am Balaton. Ein junges Studentenpaar. Saßen beim Kerzendinner in einer großen Csárda. Als einzige im Restaurant. Da kommen zwei junge Männer direkt auf uns zu, fragen in tiefstem Sächsisch: "Dürfen wir uns zu euch setzen?" Große Verblüffung und nicht gerade Begeisterung bei uns, den Westdeutschen. In München, wo wir lebten, wäre ein solches Verhalten undenkbar gewesen. Wir haben trotzdem ja gesagt, weil wir zu feige und zu höflich fürs Nein waren. Wir verstanden uns auf Anhieb extrem gut. Dem einen der beiden Freunde war schon vor Jahren die Flucht aus der DDR in die BRD geglückt. Seitdem trafen sie einander jeden Sommerurlaub in Ungarn. Jetzt war plötzlich die Grenze offen. Der andere hatte also die Möglichkeit, mit seinem Kumpel in den Westen zu gehen. Es hat ihn innerlich zerrissen, weil er seine Mutter nicht allein in der DDR lassen wollte. Er ist zu ihr zurückgefahren. Wenige Monate später gab es die DDR nicht mehr.
Ich denke oft an diesen Abend. Er erinnert mich daran, wie privilegiert wir als Westdeutsche waren. Und um wie viel offener die beiden Jungs aus dem Osten. Außerdem erinnere ich mich daran, dass es möglich ist, mit friedlichen Mitteln Mauern einzureißen. Was für eine große Leistung Ungarn vollbrachte. Und wie herzlich man mit Flüchtlingen umgehen kann.
Ich brauche diese Erinnerungen. Gerade in Zeiten, wo die ganze Welt aus den Fugen scheint.
Die Autorin ist Korrespondentin der ARD in Wien
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