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Heran an den Sandkasten!

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Es gibt in Mitteleuropa ein Land, in dem folgende Zustände herrschen: Wenn Sie Glück haben, dann sitzen Sie bereits in einem Mietwagen, der Sie je nach Größe 100 bis 300 Schilling pro Monat kostet. Wenn Sie Pech haben, dann ergattern Sie nur einen Sitz in einem solchen Mietwagen und bezahlen dafür 300 bis 1000 Schilling pro Monat. Wenn Sie Glück haben — und das richtige Parteibuch dazu —, dann bekommen Sie einen funkelnagelneuen Wagen geschenkt und brauchen nur die Betriebskosten zu bezahlen; bei etwas weniger Glück müssen Sie diesen Wagen in 75 Jahren abzahlen, bei noch weniger Glück müssen Sie zehn Prozent des Kaufpreises bar auf den Tisch legen. Wenn Sie aber Pech haben — und das haben sehr viele, weil Neuwagen zu den erwähnten Bedingungen Mangelware sind —, dann müssen Sie sich um einen Gebrauchtwagen umsehen: Ein solcher ist in der Regel reparaturbedürftig und muß bar bezahlt werden, wobei Sie sich auf Beträge zwischen 30.000 und 300.000 Schilling gefaßt machen müssen. Wenn Sie jedoch Glück haben, dann haben Sie Anspruch auf zwei billige Mietwagen, auf einen für den täglichen Gebrauch und auf einen zweiten für gelegentliche Spazierfahrten oder späteren Bedarf. Wenn Sie hingegen noch keinen Mietwagen und weder ein Parteibuch noch eine dicke Brieftasche haben und außerdem gehbehindert sind, ja dann haben Sie eben Busgesprochenes Pech.

Diese haarsträubende Geschichte trifft haargenau auf Österreich zu, allerdings nicht auf unseren Auto-markt, auf dem Autos in jeder Größe, in jeder Menge, bar oder auf Raten erhältlich sind. Daß die vorhin geschilderten Zustände bei uns nicht auf das Luxusbedürfnis des Autofahrens, sondern auf das existentielle Bedürfnis des Wohnens zutreffen, macht sie aber nur noch schlimmer. Denn von der Frage, ob man im eigenen Heim, in Untermiete oder im Obdachlosenheim lebt, kann die Entfaltung der eigenen Persönlichkeit und1“ das Glück einer ganzen Familie abhängen.

Keine Angst vor 100 Milliarden Schilling!

Seit 18 Jahren bezeichnen die beiden großen Parteien Österreichs die Lösung des Wohnungsproblems als ihr Ziel und beschuldigen sich gegenseitig, die Erreichung dieses Zieles zu sabotieren. Die ÖVP wirft der SPÖ vor, sie baue aus Steuergeldern der Allgemeinheit Wohnungen für ihre Protektionskinder statt durch eine kontrollierbare Vergebung dieser Wohnungen zur Linderung der Wohnungsnot beizutragen. Die SPÖ wieder wirft der ÖVP vor,

sie stelle sich schützend vor den Ablösewucher der Hausherren, denen sie durch eine Mietenerhöhung überdies eine höhere Rente verschaffen wolle. Inzwischen sind — von 1945 bis 1961 — 400.000 Wohnungen geschaffen worden, aber zur Lösung des Wohnungsproblems fehlen angeblich noch weitere 500.000. Eine Normalwohnung kostet heute 150.000 Schilling. In zehn Jahren würde sie, wenn die Baukosten sich wieder so wie zwischen 1950 und 1960 verdoppeln, 300.000 Schilling kosten. Folglich kämen 500.000 Wohnungen für die Deckung des quantitativen und qualitativen Bedarfes in den nächsten zehn Jahren auf 100 Milliarden Schilling.

Müssen wir vor diesem Betrag kapitulieren?

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