"Dass Du mich ansiehst / besonders die wunden Stellen mit Liebe", darum bittet die Schriftstellerin Carola Moosbach. In wenigen Worten sagt sich ein Schmerz, er sagt sich nicht umsonst. Wenn eine so bittet, dann ist die Grenze schon überschritten, Unkenntlichkeit erkennbar gemacht, eine Einsamkeit genommen und ein anderer Mensch endlich nicht mehr allein mit sich und seiner Trostlosigkeit. Die Zartheit einer Fürbitte gegen eine Scharfmacherpolitik, die aus Flüchtlingen Verbrecher macht.
Schöne wenige Worte der Journalistin Dunja Hayali kann man dazulegen, mit ihrem Fürbitten-Wert nämlich wirken sie gegen die Enteignung jeglicher Hoffnung, die zurzeit große Erfolge feiert: "Seien Sie offen. Bleiben Sie fair. Differenzieren Sie. Wahrheit braucht einfach Zeit."
Doch wer hat schon Zeit? Die Passion hat ihre Zeit. Die digitale Revolution und all ihre Kinder, die sie geboren hat, schafft es nicht, der Zeit ihr Wesen zu stehlen und ihren tiefsten Sinn. Die Passionszeit im Kirchenjahr aller Konfessionen - auch so ein Religionsglück - ist jene Zeit, die Gott als den zeigt, der den Schmerz der Erde in sich selbst austrägt als eine lebendige, bis in ihr Ende leidende Fürbitte in einem Menschen, der nur und immer nur lieben kann. Der so leidet, ist Gott, der im Anfang das Wort war, das er aussprach und in seinem Kind zur Welt brachte, weil er nicht mehr von diesem Leben wollte, als dass es in die Liebe komme, in seinen ihm innewohnenden Sinn, sein ewig Gültiges. So hat er einmal und für immer alles Leben willkommen geheißen.
Die Passion hat ihre Zeit und einen ungezählten Wert durch einen Menschen, der aller Verkommenheit zuvorkommt in seinem Leiden. Weil er mich ansieht, jedem Menschen sein Ansehen zurückgibt, alles und nichts übersieht: "besonders die wunden Stellen mit Liebe".
Die Autorin ist Pfarrerin an der Lutherischen Stadtkirche in Wien
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