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Das Dach Europas aus luftiger Höhe

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Erst von oben gesehen begreifen wir, daß Südtirol eine richtige Festung ist, die umgeben und druchdrungen ist von den hohen Mauern, Türmen und Zinnen seiner Gebirge und deshalb auch nur wenig Zugänge freigibt. Und es leuchtet uns ein, daß die seit Urzeiten dort lebenden Menschen von ihrer Landschaft geprägt sind, in ungewöhnlichem Ausmaß, ob in den hochgelegenen Tälern, an schwer zugänglichen Hängen oder in der Enge von Niederungen und den räumlich begrenzten Dörfern und Städten. Gegensätze gibt es also genug in diesem Land, das sich aber, trotz allem oder gerade deshalb vielleicht, der Außenwelt öffnet.

Bei Ansicht der 80 Bilder schärft sich der Blick nicht nur für die Landschaft, sondern eben auch für die Menschen, die allerdings nicht direkt in Erscheinung treten. Alles, was man hier sieht, spricht ja nicht minder für sie, und das ist einzig der Kunst Tappeiners zu danken, der die Technik der Fotografie wie selten einer beherrscht. Die von ihm erfaßte Welt beruht in ihrer vielfachen Wirkung nicht nur auf den Farben, sondern vor allem auch auf dem jahres-und tageszeitlichen Gegensatz von Licht und Schatten. Da ist das Morgengrauen im Winter, die Täler sind noch von Nebeln durchzogen, daher kulissenartig die Berge, dann wieder liegt in einem Meer von Wolken ein Kranz von Felsen, geradezu ein Atoll, oder es gewährt ein frühes Licht den Blick in Täler und damit in eine Landschaft, die in ihren Formen und Farben an einen eigenwillig gewebten Teppich erinnert und den Fleiß und den Ordnungssinn ihrer Bewohner aufzeigt.

Die langen Schatten zu später Stunde freilich verleihen der Landschaft oft einen Zug der Übermächtigkeit ihres Schicksals, der Vergänglichkeit auch, und der Schnee, die Gletscher lassen Gedanken an die Welt der Sage aufkommen, an das Reich des Zwergkönigs Laurin, besonders dann, wenn dessen Grenzen im Abendlicht liegen, wofür das älteste Volk dieses Landes den wunderbaren Namen „enrosadüra” besitzt. Je länger man aber die Bilder betrachtet, umso geheimnisvoller wird der Zauber ihrer Poesie, welche zwar dem Wasen des Volkes entstammt, ihre Vollendung jedoch im hohen Kunstsinn des Jakob Tappeiner erfährt.

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