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Armenier und Georgier in Sowjetrußland

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Die russische orthodoxe Kirche ist nicht die einzige kirchliche Gemeinschaft in der Sowjetunion. Auf russischem Boden liegen auch die historischen Zentren der armenischen und der georgischen Kirche.

So residiert auch der oberste Katholikos (= allgemeiner Oberer) der orthodoxen Armenier in Edschmiadzin, der Sowjetrepublik Armenien. Durch den bolschewistischen Umsturz wurde auch die Lage der armenischen Kirche von Grund aus geändert. Gegen Ende des Weltkrieges, am 22. April 1918, erklärten sich die Armenier für unabhängig. Im März 1921 mußten sie sich jedoch der Sowjetunion anschließen. Die neue autonom armenische Sowjetrepublik umschließt nur einen Bruchteil des historischen Armenien. 86 Prozent ihrer Einwohner sind Armenier. Durch den Umsturz von 1917 verlor der armenische Katholikos seinen politischen Einfluß, den er seit dem Verlust der nationalen Selbständigkeit der Armenier (Untergang des zilizischen Reiches 1375) ausgeübt hatte. Die armenische Kirche wurde zwar die Vormundschaft des Zaren los. Dafür war sie nun aber der Verfolgung durch die Regierung ausgesetzt. Es scheint allerdings, daß sich die Armenier im allgemeinen eine gewisse kulturelle Autonomie und auch eine relative Religionsfreiheit erhalten konnten. Der neuen Lage trug die Kirche Rechnung, indem sie im Jahre 1923 die zur Zeit der Zaren gegebene Verfassung von 1036 abschaffte. Der kirchliche Rat, der vor 1836 die höchste Autorität in der Kirche gewesen war, wurde wiederhergestellt. Der Katholikos bestätigte im Jahre 1925 eine neue Verfassung. Die höchste gesetzgebende Körperschaft ist danach die kirchliche Nationalversammlung, in der Bischöfe, Priester und Laien vertreten sind und die auch den Katholikos wählt. Der Katholikos von Zilizien, der heu|e bei Beirut residiert, und die armenischen Patriarchen von Jerusalem und Konstantinopel sind rechtsgültige Mitglieder dieser Nationalversammlung.

Die Religionsverfolgung in Sowjetrußland reichte auch bis nach Armenien. Im Jahre 1929 protestierte der armenische Klerus gegen die Einschränkung der religiösen Frei:

heit und die Schließung zahlreicher Kirchen. Der Ministerpräsident der armenischen Sowjetrepublik erklärte daraufhin, daß die Regierung trotz ihrer religionsfeindlichen Einstellung Gewaltmaßnahmen gegen die Religion mißbillige. Das arbeitende Volk könne auf solche Weise nicht von seinen religiösen Vorurteilen befreit werden.

So war es in Armenien möglich, nach dem Tode des Katholikos Georg V. (1930) eine Neuwahl vorzunehmen. Die armenische Sowjetregierüng erklärte, daß sie in keiner Weise auf die Neuwahl Einfluß nehmen wolle und die Einreise auswärtiger Wahlberechtigter erleichtern werde. Das Leichenbegängnis des verstorbenen Katholikos konnte mit den üblichen Feierlichkeiten gehalten werden. Als Wahltag wurde zunächst der 26. Oktober 1930 festgesetzt, aber der Termin mußte wegen Paßschwierigkeiten der auswärtigen Delegierten hinausgeschoben werden. Am 7. April 1931 erschien in der Zeitung „Komsomolskaja Pravda“ ein Artikel, der die armenische Kirche in Rußland in wüster Weise angriff. Der armenische Klerus war nicht in der Lage, sich zu wehren. Erst mehr als zwei Jahre nach dem Tode des Katholikos wurde der höchste kirchliche Rat durch die armenische Sowjetregierung tatsächlich ermächtigt, daß allarmenische Konzil für die Wahl des neuen Katholikos zu’berufen. Die Wahl fand am 12. November 1932 statt, bei der 75 Delegierte, Bischöfe, Priester und Laien, fast nur aus dem Gebiet der Sowjetunion anwesend waren. Die Regierung ließ sich bei der Wahl nicht vertreten. Die üblichen Feierlichkeiten bei der Inthronisation des neuerwählten Katholikos, Khoren I., konnten mit der althergebrachten Form abgehalten werden. Nach der Wahl erstattete das Nationalkonzil der Sowjetregierung Bericht und drückte ihr in unterwürfigen Worten seinen Dank aus. Der neue Katholikos lobte in seinem ersten Hirtenbrief die Sowjets für ihre hervorragenden Leistungen an dem kulturellen und wirtschaftlichen Fortschritt Armeniens.

In neuester Zeit gebraucht die Sowjetregierung die armenisdie Kirche für ihre außenpolitischen Ziele ganz ähnlich wie die orthodoxe Kirche. Anfang 1942 wurde der

Bischof Khedjan, angeblich ein hoher Beamter der armenischen Sowjetrepublik, nach Syrien geschickt, um unter den dortigen Armeniern für eine enge Zusammenarbeit mit den Sowjets zu werben. Im Oktober l 1944 ging wiederum ein armenischer Abgesandter nach Syrien. Es wurden Konsulate dej Sowjetrepublik Armenien in Damaskus, Beirut und Jerusalem eröffnet, wobei sich die Propaganda im_ Nahen Orient weitgehend auf die dortigen Armenier stützt.

Nach dem Kriege warben die Sowjets unter den in der Welt verstreut lebenden Armeniern für die Rückwanderung ins alte Vaterland, das heißt in die Sowjetrepublik Armenien. Nach Angaben, die P. Altajev in der in Paris erscheinenden russischen Wochenzeitung „Der Russische Gedanke“ macht (15. November 1947), sind seit 1945

150.0 Armenier in die Sowjetunion eingewandert. Die Gesamtzahl der Armenier in diesem Lande beläuft sich nach ihm auf 2,152.000, von denen 1,115.000 in Sowjet Armenien wohnen, 446.000 in Georgien,

398.0 in Aserbeidschan und 193.000 in anderen Gebieten der Sowjetrepublik.

Unter den Armeniern, die in den letzten Jahren in die Sowjetunion eingewandert sind, befinden sich auch etwa 1000 Katholiken. Der katholische armenische Patriarch, Kardinal Agagiani, hat in einem Hirtenbrief vom 9. Deztember 1947 seine Gläubigen eindringlich vor der Rückwanderung gewarnt. Die Gewissensfreiheit sei für die Katholiken in der Sowjetunion in keiner Weise gesichert. In der Tat zwingt man die eingewanderten katholischen Armenier zum Abfall vom Glauben. Für die katholischen Armenier gibt es keinerlei kirchliche Organisation in der Sowjetunion. Die Apostolische Administratur für Rußland und den Kaukasus, die vor der Revolution bestand, wurde zerschlagen. Auch die armenische Diözese von Lemberg, das jetzt ja zu Rußland gehört, wurde vernichtet.

Die innere Entwicklung der armenischen Kirche in Sowjetrußland scheint ganz ähnlich zu verlaufen wie die der orthodoxen Kirche. Bei der Wahl des neuen Katholikos am 22. Juni 1945 war der Chef des Sowjets für die religiösen Angelegenheiten, I. Pol- janskij, anwesend, genau wie bei der Wahl des orthodoxen Patriarchen Alexius der Chef des Sowjets für die Angelegenheiten der orthodoxen Kirche, G. Karpov. Pol- janskij hielt auch eine Ansprache an die Wähler. Die Wahlversammlung bestand aus 112 Personen, darunter drei Frauen. Auch einige Vertreter der armenischen Diaspora waren anwesend. — Gewählt wurde der Erzbischof Georg Köreghian, der schon seit 1937 Patriarchatsverweser war.

Die Haltung der nichtkatholischen geistlichen Würdenträger der armenischen Kirche gegenüber der Sowjetregierung scheint die gleiche zu sein wie die des orthodoxen Patriarchen. Der katholische armenische Patriarch spricht in seinem schon angeführten Hirtenbriefe von der engen Zusammenarbeit mit Moskau, die dem Katholikos von Edschmiadzin auferlegt wurde. Dieser sandte zu Beginn des Jahres 1947 ein Glückwunschtelegramm an den Patriarchen Alexius, in dem er mit bewegten Worten von der Größe des gemeinsamen Sowjet terlandes spricht (Moskauer Patriarchatszeitschrift 1947 Nr. 1, Seite 5). Als der Patrirrch Alexius im Sommer vorigen Jahres Rumänien besuchte, wurde auch in der armenischen Pfarrei in Bukarest für diesfn ein Empfang veranstaltet. Der armenische Pfarrer erklärte in sei-ner Begrüßungsrede, daß der armenische Katholikos zusammen mit dem orthodoxen Patriarchen alle Verteidiger der Sowjetunion und das ganze heroische russische Volk segne, an dessen Spitze „der mächtige und weise Führer Stalin“ stehe (ebenda Nr. 7, Seite 18).

Noch ein anderes Katholikat hat seinen Sitz in Sowjetrußland: das georgische. Nach dem Anschluß Georgiens an Rußland mußte der Katholikos Antonius II. im Jahre 1811 ab danken. Von 1817 b is 1917 wurde die georgische Kirche durch russische Bischöfe mit dem Titel eines Exarchen regiert. Man zählte im Jahre 1900 1,278.487 Gläubige. Nach der russischen Revolution erklärte sich die georgische Kirche am 25. März 1917 für unabhängig. Bald darauf wurde wieder ein Katholikos gewählt. Sein Name war Kyrion. Er starb kurz darauf unter geheimnisvollen Umständen. Die russische Hierarchie sah die Unabhängigkeitserklärung der Georgier als Schisma an.

Auch Georgien, das am 28. Mai 1918 seine Unabhängigkeit proklamiert hatte, verlor diese im Frühjahr 1921. Der Katholikos Ambrosius protestierte in einem Schreiben an die Konferenz von- Genua gegen die Greueltaten der Kirchenverfolger. Nun begann die Sowjetpresse gegen ihn zu hetzen, bis er mit allen anderen hohen kirchlichen Würdenträgern verhaftet wurde. Das Kir- .chengut wurde eingezogen, die Kathedrale von Tiflis entweiht. Im März 1924 standen der Katholikos und andere Würdenträger vor dem bolschewistischen Gericht. In der

Anklage hieß es, sie hätten die Kirchenschätze verborgen und im Ausland gegen dje Sowjetregierung gehetzt. Der Katholikos wurde zu 8 Jahren Gefängnis verurteilt, zwei Mitglieder der Synode zu 5, beziehungsweise 2 Jahren. Man ließ sie aber bald wieder frei, um die öffentliche Meinung in Georgien nicht unnötig gegen die Sowjets aufzubringen. Als der Katholikos Ambrosius 1927 starb, wählte das Konzil der Bischöfe drei Monate nach seinem Tode den Bischof Christophorus zum Nachfolger.

Die neue Religionspolitik der Sowjets wirkte sich bajd auch in Georgien aus. Der Patriarch Sergius entsandte im Jahre 1943 den Erzbischof Antonius von Stavropol zum Katholikos Kalistratos nach Georgien. Die kirchliche Gemeinschaft zwischen der russischen und der georgischen Kirche wurde wiederhergestellt und der russische Bischof konzelebrierte mit dem georgischen Katholikos in der Kathedrale von Tiflis am 31. Oktober desselben Jahres. Der Patriarch Sergius verkündete am 21. November beim Gottesdienst feierlich die Wiederherstellung der Eintracht mit der georgischen Kirche und die russische Kirche rühmt sich in ihren Veröffentlichungen gerne dieses Friedensschlusses als Beweis für ihre weitherzige Gesinnung. Bei der Wahl des neuen russischen Patriarchen im Februar 1945 war auch der georgische Katholikos in Moskau anwesend. Die georgische Kirche ist somit der russischen orthodoxen Kirche gleichgeschaltet und in das System der Religionspolitik Sowjetrußlanids mit eingebaut.

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