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Im Griff der Mullahs

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Die Armenier werden als die Juden des Iran bezeichnet. Dieser Vergleich ist in mancherlei Hinsicht zutreffend. Sie gehören einer religiösen Minderheit an. Sie sind als Händler oder in handwerklichen Berufen tätig und blicken im Bankenwesen des Iran auf eine ähnliche Tradition zurück wie die Juden in Europa. Außerdem haben die Armenier von jeher auf Grund ihrer guten Ausbildung eine führende Stellung in freien Berufen - wie Ärzte, Ingenieure, Wissenschaftler und Universitätsprofessoren - genossen. Und noch dazu sind sie ebenfalls auf der ganzen Welt verstreut.

Die Regierung von Revolutions-

führer Khomeini verfolgt gegenüber den religiösen Minderheiten keine liberale Politik, obwohl schon der Begründer der Schia und Schwiegersohn des Propheten Mohammed, Ali, Toleranz für Christen und Juden gefordert hatte. Nach der politischen Praxis der Islamischen Republik sieht die Realität für die rund 250.000 armenischen Christen freilich anders aus.

Der Grundsatz 26 der iranischen Verfassung besagt zwar: islamische Vereine und Vereine der anerkannten religiösen Minderheiten sind frei, vorausgesetzt, daß sie die Grundlagen der Unabhängigkeit, Freiheit, nationalen Einheit, die islamischen Prinzipien und die Grimdlagen der Islamischen Republik nicht verletzen.“ In der Theorie scheint diese Regelimg einen verfassungsmäßigen Schutz darzustellen, aber in der Praxis wird der Passus betreffend die Verletzung islamischer Prinzipien sehr eng interpretiert.

So wvu-den armenische Schulen geschlossen, der Religionsunterricht verboten, die Todesstrafe über Konvertiten verhängt. Alle in armenischer Sprache verfaßten Bücher, einschließlich der Bibel, mußten in Farsi übersetzt werden und unterlagen der Kontrolle eines 1983 eigens dafür gegründeten staatlichen Büros. Gegen den Islam gerichtete Äußerungen sind in der Islamischen Republik strengstens verboten.

Für die iranischen Christen - 80 Prozent von ihnen sind Armenier - bedeutete dies, daß selbst der Religionsunterricht als strafbare Werbung ausgelegt wurde, da er Kritik am Islam beinhaltet.

Im Frühjahr 1986 durften die armenischen Schulen ihre Pforten wieder öffnen, sogar Religionsunterricht konnte wieder erteilt werden, xind die Bücher durften wieder in armenischer Sprache erscheinen. Der lange Kampf gegen die zentralistisch-islamische Fühnmg endete mit einem vorläufigen Sieg der religiösen Minorität. Der Grund für diese Entwicklung lag nicht in einer plötzlichen Anwandlung von Liberalität auf Seiten der regierenden Mullahs, sondern war rein pragmatischer Natur.

Ein Massenexodus der Intelligenz hatte stattgefunden. Einen besonderen Drang zum Verlassen des Landes verspürten verständlicherweise die verfolgten Minderheiten. Traditionsgemäß bilden die Armenier eine der bestgeschulten Bevölkerungsgruppen, und die Mullahs können sich diesen Verlust an Experten auf die Dauer nicht leisten.

Die Leiterin des Armenischen Kulturzentrums im christlichen Stadtteil Jolfa in Isfahan beklagte, daß ihre armenischen Landsleute zwar ausgezeichnete Wissenschaftler auf verschiedensten Gebieten hervorgebracht hätten. Darunter sei aber keine Persönlichkeit von internationalem Rang, die wie „ein armenischer Sacharow“ die Aufmerksamkeit der Welt für die Probleme der iranischen Armenier wecken würde. Diese fühlten sich von der Welt vergessen, konstatierte die Leiterin des Kulturzentrums, die übrigens auch den strengen islamischen Bekleidungsvorschriften folgen mußte.

Die Madjlis, das iranische Parlament, verfügt über 270 Abgeordnete. Die regierende Islamisch-Republikanische Partei hält die überwältigende Mehrheit von 249 Mandaten. Für die Armenier sind freilich nur zwei Parlamentssitze reserviert, für die Ju-

den einer ebenso wie für die Anhänger der altpersischen Zara-thustra-Religion.

Die armenische Kirche ist frühchristlichen Urspnmgs. Sie stammt aus dem ersten Jahrhundert nach Christus und wurde bereits rund 300 nach Christus in Armenien zur Staatsreügion erklärt. Nach ihrem ersten anerkannten Oberhaupt Gregorius wird sie auch als Gregorianische Kirche oder als Armenisch-Apostolische Kirche bezeichnet. Im Gottesdienst der armenischen Kirche wird der Liturgie großer Wert beigemessen, die Kirchengesänge haben ihre Winzeln vornehmlich im elften Jahrhundert.

Die iranischen Mullahs sind allerdings keine Musikliebhaber, da Musik in der islamischen Tradition nie eine Rolle gespielt hat Der islamischen Kulturrevolution ist sogar die traditionelle, uralte persische Volksmusik zimi Opfer gefallen. Armenische Gesänge erklingen heute nvu: mehr hinter dicht verschlossenen Türen.

Der Gottesdienst wird in klassischem Armpnisch abgehalten, nur die kurze Predigt hält der Priester in modernem Armenisch. Den Armeniern erwächst aus der iranischen Verfassung eine dreifache Belastung: neben ihrer Muttersprache müssen sie nicht nur die Landessprache Farsi, sondern auch Arabisch, die Sprache des Korans, lernen (Grundsatz 16).

Die armenischen Christen des Iran sind dem im Kloster Etchmi-adzin nahe Jerewan, Sowjetunion, residierenden Patriarchen (Ka-tholikos) unterstellt. Dieser ist das geistliche Oberhaupt der meisten Armenier, von denen ohnehin etwa die Hälfte in der UdSSR lebt (siehe untenstehenden Beitrag). Lediglich die nahöstlichen Regionen Libanon, Syrien, Zypern und die Türkei fallen unter die Kompetenz des Patriarchen von Sis mit Residenz in Beirut.

In der Praxis allerdings pflegen die iranischen Armenier engen Kontakt mit dem Patriarchat in Beirut. Zwar hat sich unter den. Mullahs die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Moskau kontinuierlich intensiviert, im kirchlichen Bereich besteht jedoch die Isolation weiter.

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