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Kirche lebt"

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Sie war seit vielen Jahren ein Fernziel nahezu utopischer Dimension gewesen, diese Reise des Wiener Erzbi-schofs in die Zentren des russischen, des armenischen und des georgischen Patriarchats. Aber dann wurde nach mühsamen und langwierigen Vorbereitungen das beinahe nicht mehr Erwartete doch Wirklichkeit. Am 18. September traf Kardinal Franz König an der Spitze einer Delegation der Wiener Ostkirchen-Stiftung „Pro Oriente" in Moskau ein.

Gespräche mit prominenten Vertretern des russisch-orthodoxen Klerus verliefen zwar in erstaunlicher Offenheit, zeigten aber auch klar, daß man die Erwartungen nicht zu hoch ansetzen sollte. Der Beweis wurde prompt gelie-fert:*Im Anschluß an eine feierliche Liturgie in Sagorsk, im Dreifaltigkeitkloster des heiligen Sergius, sollte es zu der historischen Begegnung der beiden Kirchen, - in den Personen des Oberhauptes der russischen Orthodoxie, des Patriarchen Pimen, und des Wiener Erzbi-schofs - kommen.

Nun, ja. Die Begegnung fand statt,allerdings hinter den verschlossenen Türen der Ikonostase im Altarraum der Basilika, den Augen und Ohren des Kirchenvolkes entzogen, und der Bruderkuß zwischen Tür und Angel hatte für alle Teilnehmer eher die Qualität einer kalten Dusche.

Die Sonne hatte sich inzwischen hinter grauweißen Regenwolken versteckt, als wir durch die weitläufigen Innenhöfe des Klosters zur theologischen Akademie pilgerten.

Pimen war und blieb verhindert, und so war es wohl auch symbolisch zu verstehen, daß Kardinal König sein Gastgeschenk, einen goldschimmernden Kelch, Zeichen der Hoffnung'auf eine gemeinsame Eucharistie, nicht persönlich überreichen konnte. Nun, meinte der aalglatte Hausherr, Erzbischof Wladimir, zum Abschluß seiner Tischrede, die Trennung der Kirchen währe nun schon einige Jahrhunderte, und so werde wohl auch ihre Vereinigung noch geraume Zeit auf sich warten lassen.

Nicht die gesamte russische Kirche ist allerdings, wie man hört, so uninteressiert an Fortschritten im Bereich der Ökumene, wie dies in der Zentrale der Fall zu sein scheint. In Leningrad, so heißt es, sei man da viel aufgeschlossener. Der Grund liegt auf der Hand. Auch wenn man offiziell gerne die verdienstvolle Haltung der Kirche in manch schwerer Stunde der Geschichte des Sowjetimperiums betont, so hält man doch daran fest, sie auf dem Aussterbeetat zu halten und ihr nicht mehr als die Pflege des Althergebrachten zu erlauben..

Dieses Althergebrachte datiert aus der Zeit vor 1917 und ist dementsprechend im Formalistischen, im Rituellen erstarrt. Man zelebriert Kirche, und nur der menschlich erlösende Blick in die entrückten Gesichter der dichtgedrängten Beter gibt die Hoffnung, daß sie dennoch, daß sie trotz allem noch lebt.

Offene, freudestrahlende Gesichter unter den schwarzen Kapuzen der Priestergewänder und Herzlichkeit vom ersten Augenblick an, so empfängt das Patriarchat von Ezmiadsin den Gast im Kardinalspurpur am Flughafen von Erewan. Man spürt sofort: Hier steht die Kirche mit beiden Beinen auf dem basaltharten Sockel einer fünfzehnhundertjährigen Tradition.

Hier, wo das Christentum bereits im vierten Jahrhundert zur Staatsreligion erhoben worden ist, ist Nation und Religion zu einer Einheit geworden, die auch die harten Gesetze einer atheistischen Gesellschaftsordnung nicht aufbrechen konnten.

Empfang im „kleinen Vatikan" des weltmännisch Offenheit und Würde in sich vereinenden „Katholikos aller Armenier,, Vasken I: Der geistliche Führer der rund zehn Millionen Armenier, die teils hier im sonnigen Bergland am Fuß des majestätischen Ararat, teils in verschiedenen Sowjetrepubliken, teils in aller Welt verstreut leben, agiert in souveränem Selbstbewußtsein.

Zwischen 200 und 400 Taufen pro Sonntag allein im Kloster von Ezmiadsin machten ein eigenes Baptisterium notwendig, ein blühender, polygloter Priesternachwuchs, lebendige Gemeinden, aktive pastorale Arbeit, wenn die Menschen sonntags nicht nur zur Messe strömen, sondern den ganzen Tag über beisammen bleiben, wenn sich die Spieße mit den Hühner und Schafen drehen, der Weinkrug kreist und das Gespräch nicht mehr verstummt - das sind die äußeren Zeichen für das vitale Leben der Kirche in diesem Teil des Sowjetstaats.

Selbstbewußt gibt der Katholikos sich auch im Gespräch mit den Vertretern der anderen Kirche, lebhaft die dunklen Augen in dem schmalen, edel geschnittenen Gesicht des gebürtigen Rumänen, lebhaft auch die Gestik und offen das Wort.

Während ihm der Kardinal den Kelch als Gastgeschenk überreicht, läßt der Hausherr Körbe mit duftenden Weintrauben aus eigenem Anbau reichen. Hier gerät einem wieder Symbolisches in die Gedanken: der Kelch, die Trauben, der eine Weinstock, aus dem alle Rebzweige ihr Leben, ihre Kraft nehmen...

Gleichzeitig taucht auch Schmerzliches aus der Geschichte dieser Kirchen auf, zerbrach doch die Einheit des Gottesvolkes, wenn man es von heute her betrachtet, sozusagen an theologischen Haarspaltereien, was in der Folge des Konzils von Chalcedon bereits im fünften Jahrhundert zur Abspaltung der armenischen und der georgischen Kirche führte. In der Zwischenzeit haben Forschungen längst ergeben, daß es tatsächlich nur um mißverständliche Auslegungen im Bereich der Christologie ging. Dies ist auch inoffiziell längst geklärt und bereinigt, und trotzdem hat sich soviel Trennendes aufgebaut, daß man so schwer zueinanderfinden kann.

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