Vierbeinige Integrationshelfer

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In einer Volksschule im 20. Wiener Gemeindebezirk läuft ein weltweit einzigartiges Projekt: ausgebildete Hunde sollen versuchen, die Integration ausländischer Kinder zu fördern und das Aggressionspotential in der Klasse zu senken.

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In einer Volksschule im 20. Wiener Gemeindebezirk läuft ein weltweit einzigartiges Projekt: ausgebildete Hunde sollen versuchen, die Integration ausländischer Kinder zu fördern und das Aggressionspotential in der Klasse zu senken.

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Semiramis geht in die 1. Klasse Volksschule in der Pöchlarnstraße im 20. Wiener Gemeindebezirk. Im Unterricht ist sie aufmerksam, hört auf jedes Wort der Lehrerin. Das Ungewöhnliche: Semiramis ist eine 7-jährige Deutsch-Kurzhaarhündin.

"Hunde haben einen großen Einfluß auf die Sozialisation von Kindern und können wesentlich dazu beitragen, den Kindern Verantwortung, Rücksicht und vieles andere beizubringen", sagt Ilse Henner, Direktorin der Volksschule Pöchlarnstraße. Die 300 Kinder der Schule kommen aus 15 verschiedenen Nationen. "Europaschule" nennt sie sich - und meint eigentlich die ganze Welt. Denn die Kinder kommen - aufgrund der Bevölkerungsstruktur des Bezirkes - aus der Türkei und dem ehemaligen Jugoslawien ebenso wie aus China, Indien und Ägypten. Die vielen Nationalitäten sind einerseits (und überwiegend) positiv im Sinn eines neugierigen Kennenlernens und wertfreien Miteinanders der Kinder, andererseits bringen sie aber auch Verständigungsschwierigkeiten und große Unruhe mit sich.

Viele der Kinder sprechen schlecht, andere überhaupt nicht deutsch. In der "Europaschule Pöchlarnstraße" wird versucht, die Kinder nach Möglichkeit in ihrer Muttersprache zu alphabetisieren, "denn sonst werden sie nie die Chance haben, eine Fremdsprache zu erlernen", sagt Frau Direktor Henna im Brustton der Überzeugung. Die engagierte Direktorin erzählt von verschiedenen Aktivitäten, die die positive Neugier der Kinder auf andere Kulturen verstärken sollen. So werden die Kinder zum Beispiel ermuntert, im Unterricht über ihre Heimat, ihre Familien, ihre Sprache und auch über ihre Essgewohnheiten zu erzählen.

Rücksicht & Toleranz

Seit Beginn des Semesters sind in einer der 1. Klassen - weltweit einzigartig - Hunde als "vierbeinige Integrationshelfer" während des Unterrichts anwesend. Möglich geworden ist dieses Projekt erst durch eine neue Lehrerin an der Schule: Veronika Poszvek hat neben der Pädagogischen Akademie auch eine Ausbildung als Tierpflegerin absolviert. Im vergangenen Schuljahr war sie im Rahmen des Projektes "Moritz Tierschule" mit ihren Hunden und Kaninchen in mehr als 300 Wiener Schulklassen unterwegs, um den Kindern den richtigen Umgang mit Tieren zu lehren. Immer schon hat sie davon geträumt, ihre beiden Ausbildungen hauptberuflich kombinieren zu können. "Für Kinder ist es wichtig, mit Tieren aufzuwachsen, zu wissen, wie man sie behandelt und frühzeitig zu lernen, Rücksicht auf die Bedürfnisse eines anderen Lebewesens zu nehmen", sagt Veronika Poszvek.

Neben ihrer Deutsch-Kurzhaarhündin Semiramis begleiten sie auch Herold, ein 5-jähriger Retrieverrüde, und Datura, ein Sibirischer Husky, in den Unterricht. Durch diesen abwechselnden Einsatz wird gewährleistet, daß die Hunde nicht überfordert werden. "Die Kinder haben von Anfang an gelernt, leiser zu sein, um die empfindlichen Ohren der Hunde zu schonen und sind insgesamt ruhiger und aufmerksamer geworden", bestätigt die junge Lehrerin die ersten Erfolge des ungewöhnlichen Projekts.

Zappelige Kinder werden ausgeglichener, aggressive Kinder friedlicher, wenn ein Hund in ihrer Nähe ist. Daß sich der Hautkontakt mit einem Tier positiv beruhigend auf den menschlichen Organismus auswirkt, ist längst wissenschaftlich erwiesen. Und so sind sie drei Hunde mit einer extrem hohen Toleranzgrenze von Anfang an auch zu Schmusetieren und Seelentröstern für die Kinder geworden. Darüberhinaus wurden Semiramis, Herold und Datura natürlich auch zu Integrationsfiguren der Klasse.

Seelentröster

Hunde spielen in jedem Kulturkreis eine andere Rolle, und nachdem der Stadtschulrat vom Projekt überzeugt war, wurden die Eltern der Kinder zusammen mit der neuen Lehrerin und den Hunden zu einem "Kennenlern-Abend" eingeladen. Die meisten waren sofort begeistert, andere stimmten erst zu, nachdem sie vom erfolgreichen Einsatz der Rettungshunde nach dem großen Erdbeben in der Türkei gehört hatten.

Mit Zustimmung der Eltern werden die Kinder im Unterricht auch gefilmt. Denn das Projekt "Integrationshelfer auf 4 Pfoten" wird vom IEMT, dem von Konrad Lorenz gegründeten "Institut für die interdisziplinäre Erforschung der Mensch-Tier-Beziehung", wissenschaftlich betreut. Die wissenschaftliche Leitung dieses einzigartigen Projekts hat Professor Giselher Guttmann, Vorstand des Instituts für Psychologie an der Universität Wien und Präsident des IEMT, übernommen. Die Ergebnisse der 1. Studie über Hunde als Integrationshelfer in einer Volksschule sollen 2001 beim nächsten Weltkongress für Mensch-Tier-Beziehung in Rio de Janeiro präsentiert werden.

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