"Zuversichtlich nach der Flutkatastrophe"

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Die Bilder aus Mosambik gingen um die Welt. Menschen auf den Dächern ihrer Häuser und in Baumkronen auf der Flucht vor den Wassermassen, die ihre Felder überflutet hatten. Doch die Mosambikaner haben nicht aufgegeben, wie Pater Ottorino Poletto, ein Comboni-Missionar, der für vier Pfarren und vier Schulen in diesem afrikanischen Land verantwortlich ist, berichtet.

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Die Bilder aus Mosambik gingen um die Welt. Menschen auf den Dächern ihrer Häuser und in Baumkronen auf der Flucht vor den Wassermassen, die ihre Felder überflutet hatten. Doch die Mosambikaner haben nicht aufgegeben, wie Pater Ottorino Poletto, ein Comboni-Missionar, der für vier Pfarren und vier Schulen in diesem afrikanischen Land verantwortlich ist, berichtet.

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die furche: Heuer im Februar brach der Wirbelsturm Eline und danach eine Flutkatastrophe über Mosambik herein. Wie ist die Situation jetzt?

Ottorino Poletto: Sie hat sich etwas entspannt. Die Leute versuchen, ihr Leben wieder in den Griff zu bekommen. Das Hauptproblem ist aber nach wie vor der Mangel an Lebensmitteln. In der Region von Beira, an der Küste des Indischen Ozeans, ist die gesamte Mais- und Reisernte zerstört worden. Das Salzwasser hat weite Teile des Ackerlandes unfruchtbar gemacht, oft bedeckt eine mächtige Sandschicht die Felder. In anderen Gegenden haben die Leute ihr Vieh verloren. Außerdem haben die Fluten 70 Prozent der Kokospalmen und der Mangobäume vernichtet, also die Einkommens- und Lebensgrundlage. Es wird Jahre dauern, das alles wieder aufzubauen und neu anzupflanzen. Die Fischer haben ihre Kanus und Netze verloren, Straßen und Brücken sind unpassierbar.

die furche: Sie stehen in der Erzdiözese Beira vier Pfarren vor, die sich auf ein Gebiet von 30 000 km2 erstrecken. Wie ist die Lage dort?

Poletto: Im Pfarrgebiet sind 100 Menschen ums Leben gekommen. 95 Prozent aller Hütten wurden zerstört. Um den Wiederaufbau dieser Hütten gab es viele Streitereien zwischen verschiedenen Hilfsorganisationen: Die einen wollten sie komplett aufbauen, die anderen den Leuten nur Material zur Verfügung stellen. Viel wurde versprochen, wenig gehalten! Gleiches gilt für die Nahrungsmittelversorgung. Die Leute haben einfach immer noch nicht genug zu essen.

die furche: Sie stehen vor einem Berg von Problemen. Welches gehen Sie als erstes an?

Poletto: Als erstes versuche ich die Nahrungsmittelverteilung zu organisieren. Wir kaufen Maismehl, damit es die Leute gleich verarbeiten können. Auch der Wiederaufbau der Hütten ist zu organisieren. Wir kaufen in Beira das Material, also Holz, Nägel und Werkzeug, und organisieren den Transport. Die Leute können dann selbst ihre Hütten wieder aufbauen.

Als zweites müssen wir die elf Krankenstationen für die medizinische Basisversorgung der Leute wieder in Betrieb nehmen. Dort sind zwar keine Ärzte, denn Ärzte gibt es in Mosambik fast keine. Aber die Schwestern in den Krankenstationen garantieren zumindest eine medizinische Basisversorgung zum Beispiel für Schwangere. Trotzdem sterben in Mosambik stündlich elf Kinder an Krankheiten wie Durchfall, Malaria und Masern.

die furche: Sie haben in der Region um Beira aber auch vier Schulen mit ungefähr 3000 Schülern aufgebaut.

Poletto: Ja, die Schulen sind meine Hauptsorge. Wir haben sie jetzt wiedereröffnet, da sie von 60 bis 70 Prozent aller Mädchen und Buben in der Region um Beira besucht werden. Die Kinder können ja nicht einfach zu Hause bleiben und nichts lernen! In einem Land, wo fast die Hälfte der Einwohner jünger als 14 Jahre sind und die Analphabetenrate bei 60 Prozent liegt, haben Schulen absoluten Vorrang. Da wir ungefähr 1000 Internatsschüler haben, müssen wir ihnen auch zu essen geben. Momentan hilft uns dabei noch die UNO, aber irgendwann wird das aufhören. Wir müssen so schnell wie möglich auf eigenen Füßen stehen. Der Österreichische Entwicklungsdienst, die Aktion "Sei so frei" der Katholischen Männerbewegung und die oberösterreichische Landesregierung unterstützen uns.

die furche: Sie wandeln mit dieser Reise nach Österreich sozusagen auf den Spuren Ihres Ordensgründers Daniel Comboni.

Poletto: Ja, Daniel Comboni, ein Italiener vom Gardasee, ist viel in Europa herumgereist, um Geld für die Mission zu sammeln. Er hat Kaiser Franz Joseph gut gekannt, sie waren befreundet. Comboni war der dritte Bischof in Karthum (Sudan), er ist dort 1881 im Alter von 50 Jahren gestorben. Noch heute leben die Comboni-Missionare im Sudan, in Uganda und in vielen anderen Ländern Afrikas. Unsere Ziele sind Evangelisierung und Sozialarbeit. In Mosambik arbeiten wir im Süden. Unser Hauptsitz dort ist Buzi. Dort sind auch 500 bis 1000 Hütten schon wieder aufgebaut!

die furche: Was können wir hier in Österreich tun, damit Spenden wirklich bei denen ankommen, dies es brauchen?

Poletto: Ich kann nur empfehlen, das Geld direkt an Leute zu geben, bei denen Sie wissen, wozu es verwendet wird. Wenn Sie der Aktion "Sei so frei" Geld spenden, geht das direkt an die Comboni-Missionare. Wir informieren Sie gerne über unsere Arbeit.

die furche: Zurück nach Mosambik: Wie gehen die Mosambikaner mit der Flutkatastrophe um?

Poletto: Die Leute in Mosambik sind Leiden gewohnt. Da war der Krieg, da ist die unsichere politische Situation. Es gibt keine Straßen, keine Elektrizität, keine Nahrung, keine Kleidung. Trotzdem: Die Mosambikaner verzweifeln nicht. Sie sind ein friedliches Volk. Sie stehen nicht da und warten auf Hilfe. Sie versuchen, sich selbst zu helfen.

die furche: Die Situation ist doppelt tragisch, weil Mosambik in den letzten Jahren ein gutes Wirtschaftswachstum zu verzeichnen hatte. Internationale Investoren wollten in den Bereich Energie und Bergbau investieren. Auch die Inflationsrate war moderat.

Poletto: Das stimmt. Die Löhne sind gestiegen, allerdings auch die Lebenshaltungskosten. Trotzdem beträgt das durchschnittliche Jahreseinkommen pro Kopf gerade 3.400 Schilling. Und wer hat schon ein regelmäßiges Einkommen? Sehr wenige! Es gibt kaum eine Industrie, 90 Prozent der Menschen ernähren sich von dem, was sie in ihrer Landwirtschaft anbauen. Fast Dreiviertel der Mosambikaner lebt unter der Armutsgrenze.

die furche: Die Wahlen im vorigen Dezember brachten einen Sieg für die jetzige Regierungspartei Frelimo unter Präsident Joaquim Chissano. Die Opposition spricht von Wahlbetrug und fordert Neuwahlen. Sie droht damit, andernfalls das Land unregierbar zu machen. Verschärft oder beruhigt die Flutkatastrophe die politische Lage?

Poletto: Momentan hat die Katastrophe sogar einen gewissen Nutzen gehabt: Nach den Wahlen war das Volk gespalten. Angesichts der Fluten haben sich aber alle zusammengetan, um das Land wiederaufzubauen. Die Flut hat die Leute also wieder vereint. Sie haben die politische Situation erst einmal vergessen. Ich fürchte aber, dass sich die Lage bald wieder zuspitzen wird. Die Leute misstrauen der Regierung.

die furche: Die Regierungspartei hat 1986 den Wechsel von der Planwirtschaft zur freien Marktwirtschaft eingeleitet. Sie steht jetzt für ein kapitalistisches Wirtschaftssystem. Was will die Opposition?

Poletto: Eigentlich gibt es keine großen Unterschiede zwischen den zwei Parteien. Ihrer beider Anliegen ist es, an der Macht zu bleiben. Wer die Macht hat, hat das Geld. Wer die Macht verliert, verliert Geld. Wie in allen afrikanischen Ländern herrscht auch in Mosambik die Korruption. Das Problem der westlichen Staaten ist, dass sie meist die gegenwärtige Regierung unterstützen und dabei die Situation der Menschen vor Ort aus den Augen verlieren. Das sind die Nachwirkungen der Kolonisation. Macht haben in Mosambik nicht die Afrikaner, sondern die westlichen Länder: die USA, Spanien, Frankreich, Italien und England!

die furche: Die ehemalige portugiesische Kolonie Mosambik erhält als hochverschuldetes armes Land Schuldenerleichterungen der internationalen Gläubiger im Ausmaß von 1,3 Milliarden Dollar. Nationale und internationale Nichtregierungsorganisationen fordern aber seit langem, Mosambik die Auslandsschulden zur Gänze zu erlassen.

Poletto: Das werden die westlichen Staaten sogar tun müssen. Wie soll ein solch armes Land seine Schulden jemals wiederzurückzahlen? Die westlichen Staaten sind aufgerufen zu helfen und nicht dauernd daran zu denken, wann Mosambik seine Schulden zurückzahlt!

die furche: Sie leben seit 1991 in Mosambik, haben Bürgerkrieg und Hungersnot erlebt und jetzt den Wiederaufbau nach der Flutkatastrophe. Gibt es eine Hoffnung für Mosambik?

Poletto: Ja, natürlich! Trotz aller Schwierigkeiten sind die Menschen in Mosambik freundlich, friedlich und fleißig. Die Mosambikaner sind ein sehr junges Volk. Als ich nach Europa gekommmen bin, war ich überrascht, wie alt die Leute hier sind. Ich sage das nicht nur, weil das Durchschnittsalter höher ist. Hier sehen ja selbst Jugendliche aus wie alte Menschen! In Mosambik sind die Leute wirklich jung - nicht nur vom Alter her, sondern in ihrer Mentalität und in ihrer Lebensweise: sie sind fröhlich und freundlich, sie haben Vertrauen in ihre Zukunft trotz aller Schwierigkeiten. Sie wollen ihr Leben wieder in den Griff bekommen.

Das Gespräch führte Angelika Walser.

Zur Person Missionar mit einem Pfarrgebiet von 30.000 km2 Zwei Jahre Bürgerkrieg, dann eine große Hungersnot, einige Jahre des Wiederaufbaus und heuer die Flutkatastrophe - Ottorino Polettos Liebe zu Mosambik hat einige Härtetests überstanden. Dabei war der 49-jährige Missionar aus Padua zunächst nicht auf Afrika spezialisiert: Acht Jahre wirkte er nach seiner Priesterweihe in Ecuador (Südamerika). Nach seinem Eintritt in den Orden der Comboni-Missionare übersiedelte er nach Mosambik, wo er vier Pfarren vorsteht. Sein Pfarrgebiet erstreckt sich über 30 000 km2 und zählt 300 000 Einwohner, darunter fünf Prozent Katholiken. Mehrere Jahre arbeitete Poletto alleine, heute wird er von vier Priestern unterstützt. Der Missionar hat außerdem vier Schulen für rund 3000 Schüler aufgebaut, für die er jetzt verantwortlich ist.

Spenden: Aktion SEI SO FREI, Hypo-Landesbank, Spendenkonto Mosambik Nr. 00000691733

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