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Digital In Arbeit

Nach dem Sinn des Wirtschaftens fragen

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Heute so zu wirtschaften, daB spatere Generationen eine lebenstrachtige Basis vorfinden: Das verlangt die Umsetzung des Prinzips Nachhaltigkeit.

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Heute so zu wirtschaften, daB spatere Generationen eine lebenstrachtige Basis vorfinden: Das verlangt die Umsetzung des Prinzips Nachhaltigkeit.

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DIEFURCHE: SO Jahre Forcierung der Wirtschaft liegen hinter uns. Wieso mehren sich die Krisensymptome? Univ. Prof. Stefan Schleicher: Wir sind dabei, an zwei, Problemen zu scheitern: kurzfristig an der Gestaltung der Arbeitsmarkte, langfristig am bis-herigen Stil der wirtschaftlichen Knt-wicklung. Die in den Industrielandern •praktizierte AA'irtschaftsform kann nicht beliebig in die Zukunft fortge-setzt und auch nicht auf die Lander der Peripherie iibertragen werden. AA'ir se-hen das am Reispiel China. Wiirde dieses Land den Wirtschaftsstil der alten Industrielander folgen, ergabe das eine Katastrophe. China ware mit Abstand die Nummer eins bei der Emission von Treibhausgasen. Absehbar waren schwere regionale Wetterveranderun-gen, insbesondere was die fiir Asien so wichtigen Monsunregen anbelangt.

DIEFURCHE: Hdngen beide Versagen zusammen?

SCHLEICHER: Sie haben eine gemeinsa-me Wurzel und beruhen auf dem Aus-blenden von Stilfragen in der Okono-mie. Die klassische Okonomie hat sich intensiv mit ihnen beschaftigt.

DIEFURCHE: Welche Markierungen waren da heute zu setzen?

SCHLEICHER: Hier geht es um alle Grundfragen, die sich die Philoso-phie stellt: AA'as bedeutet AA'ohlstand? Was bedeutet ein erfiilltes Leben? AA'as bedeutet Harmonie des Menschen mit seinem Lebensraum? Das Suchen nach Antworten auf diese Fragen ist uns weitgehend verloren gegangen. Wer okonomische Publi-kationen aufschlagt, hat den Ein-druck, daB die Wirtschaft nur inne-ren Gesetzen zu folgen habe, die gar nicht in Frage zu stellen sind ...

DIEFURCHE: Wie Naturgesetze ...

SCHLEICHER: Speziell in Osterreich nehmen wir manche Umstrukturie-rungsvorgange als unumganglich hin. Wer hinterfragt etwa, ob Kapital weltweit unbeschrankt mobil sein soil - trotz der negativen Folgen, die dies hat: Da lassen sich Kapitalgeber mit Zuckerln nach Osterreich locken und verabschieden sich wieder, so-bald sie anderswo kurzfristig mehr Rendite erhoffen. DaB wir so etwas als unabwendbar hinnehmen, ist eine Selbstbeschrankung, die wir uns vor zehn Jahren nicht gestattet hatten.

DIEFURCHE: Hat unsere Wirtschaftspo-litik iiberhaupt Handlungsspielraum?

SCHLEICHER: Die Frage nach der Au-tonomie unserer Entscheidungen ist eine Kernfrage, die wir stellen sollten. Eines miissen wir jedoch zur Kenntnis nehmen: Viele Instrumente der AA'irt-schaftspolitik sind heute nur einge-schrankt einsetzbar, etwa die Geldpo-litik. Wir haben uns an Deutschland angekoppelt - eine Politik, die sich ubrigens bewahrt hat. In der Fiskal-politik sind die Spielraume durch die Budgetpolitik der letzten 15 Jahre sehr eingeengt. Die Aerschuldung erfor-dert radikale Schnitte. Auch engt der internationale IntegrationsprozeB die fiskalpolitischen Mbglichkeiten ein.

DIEFURCHE: Was bleibt daniv1

SCHLEICHER: Neue Instrumente. Osterreich muB vor allem die Informations

POLITIK ENTDECKEN. Da geht es nicht nur um die neuen Medien (Stichwort Internet), die fiir viele Wege neuer Selbstandigkeit, fiir viele Unternehmen neue Marktchancen eroffnen. Eine an-dere Dimension der Informationspoli-tik lage darin, das Bildungssystem neu auszurichten: Abkiirzung der zu langen Aorbereitung auf den Beruf (vor allem an Uni versitaten) und mehr lebenslang begleitende Informationsvermittlung in der sich rasch andernden Umwelt.

DIEFURCHE: Stellt sich da nkht die Frage nach dem Wirtschaftsstil? Mufi sich der Mensch stets an neue wirtschaftli-che „Notwendigkeiten " anpassen? SCHLEICHER: Die Frage ist hinter-griindig, wenn sie auffordert auszulo-ten, welcher Wirtschaftsstil mit unse-ren Wohlstandsvorstellungen iiber-einstimmt. Indikatoren fiir den AA'unsch nach Kurskorrektur sind si-cher die zunehmende Unsicherheit am Arbeitsmarkt,, der StreB und die Arbeitsiiberlastung. Diesen MiBstan-den Rechnung zu tragen, heiBt nicht Umstieg auf ein System, wo wir uns in die Hangematte zurtickziehen. Ein Leben lang Entfaltungsmoglichkei-ten zu bffnen, ist auch ein Erfolgs-maBstab fiir wirtschaftliches Tun.

DIEFURCHE: Derzeit scheint weniger Entfaltung als Rationalisienmg um je-den Preis angesagt...

SCHLEICHER: Sicher stehen wir unter dem Eindruck der Entwicklung in den USA. Die Stichworte lauten dortWue Selbstandigkeit, Flexibilisierung. Die US-Unternehmen bauen das mittlere Management ab und entlassen ihre Mitarbeiter in die Selbstandigkeit. Die Noch-Beschaftigten haben immer sel-tener A'ollzeit-Arbeitsvertrage. Der Trend geht in Richtung Arbeit auf Ab-ruf. Das senkt die Kosten, ignoriert aber die damit verbundenen sozialen Lasten.

DIEFURCHE: Klingt nach Ende der Sozialen Marktwirtschajt

SCHLEICHER: Man muB sich der Folgen dieser Entwicklung voll bewuBt werden. In einem Unternehmen zu arbeiten, bedeutet ja auch, die Risken des wirtschaftlichen Scheiterns fiir den einzelnen zu verringern. Wenn jetzt die Arbeitenden zunehmend auf sich allein gestellt werden, so erhoht das ihr Existenzrisiko. Die Diskussi-on dieser Fragen darf nicht tabuisiert werden. Weil Arbeit ein elementexer Faktor der Selbstverwirklichung ist, gibt es etwas wie ein Recht auf menschengerechte Arbeit. Weil wir erfahren, wie deformierend Arbeits-losigkeit wirkt, diirfen wir die stei-gende Arbeitslosigkeit einfach nicht als unausweichlich akzeptieren.

DIEFURCHE: Was sollte man tun? SCHLEICHER: Zwei Inhalte mochte ich embringen. Erstens: Es gibt genug nicht geleistete Tatigkeiten: Dienstlei-stungen, die mit Bedarf an Information und Sorge fiir altere Personen zu-sammenhangen, abgesehen von den Mangeln in den Bereichen Wohnung und Umwelt. Zweitens sollten wir uns der Herausforderung stellen, daB we-nige Kilometer von unseren Ostgrenzen ein groBer Nachholbedarf an Wohl-Stand besteht. Hier zu kooperieren, ist in unserem eigenen Interesse (Stichwort. weniger Migrationsdruck). Gleiches gilt fiir die Lander der Peripherie.

DIEFURCHE: Viele sagen, wir konnten uns das nicht leisten ...

SCHLEICHER: Immerhin gehoren wir zu den reichsten Landern. Und auBer-dem ist so ein Engagement keine Ein-bahnstraBe ... A'or allem geht es dar-um, unser wirtschaftliches Tun wieder unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit zu entdecken.'Diese Sichweise ist eine der groBten Innovationen im okono-mischen Denken in den letzten Jahren: langfristige AA'ohlstandsicherung mit viel weniger Ressourcenverbrauch.

DIEFURCHE: Pragt dieses Denken be-reits die F,ntscheidungen?

SCHLEICHER: Ich registriere sowohl Ab-lehnung als auch Akzeptanz des Kon-zeptes. AA'eltweit haben Unternehmen wie die prominenten Computerher-steller entdeckt, daB sie durch Design und Techniken, die die AA'iederver-wertung ihrer Produkte gestatten, ihre Kosten senken und am Markt mehr Erfolg haben. Das sind sehr positive Sig-nale. Auch in der EU gibt es Direkto-rate (Umwelt, A'erkehr), die intensiv dariiber diskutieren, was nachhaltige Entwicklung bedeutet. In anderen Di-rektoraten allerdings ist davon keine Rede. Diese Dichotomie treffen wir iiberall an.

DIEFURCHE: Gibt es nachhaltiges Wirtschaften, wenn nicht alle mitmachen?

SCHLEICHER: Osterreich konnte diesen Beweis erbringen: Dank unseres ho-hen Anteils an erneuerbarer Energie konnten wir innerhalb einer Generation aus den fossilen Energien ausstei-gen - wenn wir es wollten. Das rech-net sich. GroBe Anlagenbauer in Osterreich haben erkannt, daB die Entwicklung nachhaltiger Technologien (Pro-duzieren in geschlossenen Kreislaufen, Herstellung von Produkten ohne Ab-falle) ihre weltweite Marktnische sein konnte. Ein weiteres Beispiel ist die thermische Gebaudesanierung. Es ist meist billiger, ein Haus gut zu isolie-ren, als AA'inter fiir AA'inter mit groBem Aufwand aufzuheizen. Eine entspre-chende Anwendung bestehender Technologien auf AA'ien konnte den Energieverbrauch der Stadt auf ein Alertel senken. Die Umsetzung eines solchen Konzeptes scheitert meist an der Starrheit der Institutionen, von den AA'ohnbautragern bis zu den Banken.

FUHRLE CHRISLOF GASPARI

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