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Bürger-Saga

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Thomas Manns Generationenroman „Die Buddenbrooks“ (1901) liegt nicht nur zeitlich zwischen Zolas Rougon-Macquart-Reihe und Galsworthys „Forsythe Saga“. Er ist spiritueller als Zolas Taine-Darwinistische biologische Deszendenz und fülliger, kerniger ak Galsworthys esoterischer Dekadenz-Viktorianismus. Thomas Mann trägt überdies seine These, nach der sich mit dem „Verfall einer Familie“ in den letzten Ausläufern Verästelungen und Verfeinerungen von großer Schönheit und Bewußtheit ausprägen, weder tragisch-philosophisch noch romantisch-idealistisch, sondern, als echtes Kind des liberalen Realismus, ironi6ch-heiter vor. Das war auch das große Mißverständnis der Patrizier seiner Vaterstadt Lübeck: daß sie sich noch in die vermeintlichen Schlüsselfiguren des „Pamphletes“ polemisch verbissen, als alle Welt schon längst in die Gestalten und Figuren der Buddenbrooks verliebt war und sicher erkannt hatte, daß mit dieser liebevollen Verklärung deutschen Bürgertums der große Generationenroman des Jahrhunderts geschaffen war.

Manns „Buddenbrooks“, das Werk eines 26jähri-gen, verriet übrigens schon damals die erstaunliche Reife einer vollinstrumentierten sprachlichen Transparenz, die von da ab geradezu ein Kriterium des Mannschen Werkes bleibt. Dieser Glanz, diese eminente Bedeutung des Wortes mag auch der Grund sein, warum der permanente Heißhunger des Films nach literarischen „Büchern“ lange Zeit eine so deutliche Thomas-Mann-Scheu zeigte — wir haben bis 1954, d. i. immerhin ein gutes halbes Jahrhundert, nur eine einzige Mann-Verfilmung, eine höchst unzureichende noch dazu (1923, stumn, Gerhard Lambrechts „Buddenbrooks“ in einem Teil). Von da ab ging es besser. Noch zu Lebzeiten erfreute sicn der Dichter an der „Königlichen Hoheit“ (1954), noch seine Billigung erfuhr die deutsche Verfilmung des „Felix Knill“ (1956) und die gleichzeitige amerikanische von „Joseph und seine Brüder“ durch Dieterle. Eine Lieblingsidee Manns war eine gemeinsame westostdeutsche Neufassung der „Buddenbrooks“ — sie scheiterte vorwiegend an westdeutschen Widerständen. So liegt nunmehr wenigstens ein zweiteiliger westdeutscher Film vor; der erete Teil lief an, der zweite, ungefähr der Zäsur der Romanbände folgend (Thomas' Hochzeit mit Gerda), soll ihm unmittelbar folgen.

Das Unternehmen lag in würdiger Hand. Erika Mann, Dr. Harald Braun und Jakob Geis schrieben das Buch, d. h. sie verantworteten die Verkürzungen und Veränderungen, Regie führte Alfred Weidenmann. Für die Besetzung stand eine Elite älterer und jüngerer deutscher Schauspieler zur Verfügung — sie bleibt auch in der kleinsten Charge nichts schuldig. Das Rollengerüst bilden der Konsul und die Konsulin (Werner Hinz und Lil Dagover), sowie das Terzett Thomas/Tony/Christian, das mit Hansjörg Felmy, Liselotte Pulver und dem neuen Hanns Lothar ideal besetzt ist. Nadja Tillers Potenz (Gerda) kündigt sich vielversprechend für den 2. Teil an, in dem sich das Schicksal der zweiten und dritten (letzten) Generation erfüllt.

Im ganzen ist der Film, soweit der 1. Teil ein Urteil zuläßt, werktreu und würdig geraten. Daß dabei manches Licht des Dichterwortes an Glanz und Leuchtkraft verliert (wie stumpf klingt beispielsweise im Film Sesemi Weichbrodts „Seid glöcklich, Ken-der“, das bei Mann eine ganze durchgehende Melodie verkörpert), scheint zum unentrinnbaren Schicksal solcher Verfilmungen zu gehören. Immerhin: der Genius lebt und webt in diesem Film. Eine deutsche Bürgersaga, Millionen Lesern im Herzen, schickt sich an, zum zweitenmal in die Welt zu gehen.

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