Dieser FURCHE-Text wurde automatisiert gescannt und aufbereitet. Der Inhalt ist von uns digital noch nicht redigiert. Verzeihen Sie etwaige Fehler - wir arbeiten daran.
Das Gesetz zweiter Wahl
Knapp zehn Jahre ist es her, seit das Abtreibungsverbot (mit dem Paragraphen 144) fiel und die Fristenregelung eingeführt wurde. Nun ist die Diskussion über das Problem neuerlich aufgeflammt.
Das IMAS-Institut hat dies zum Anlaß einer demoskopischen Nachschau genommen, ob und in welcher Weise sich die Meinungen der Österreicher zur Frage des Schwangerschaftsabbruchs verändert haben. Das Institut kann sich in diesem Zusammenhang auf einen Trendvergleich mit einer Erhebung stützen, die bereits im Dezember 1974 zu diesem Thema durchgeführt wurde.
Den Befragten wurden damals auf einer Liste drei Antwortalternativen zur Auswahl gestellt. Aufgrund der Ergebnisse befürworteten 36 Prozent, daß die Unterbrechung der Schwangerschaft innerhalb der ersten drei Monate grundsätzlich erlaubt sein soll (Fristenregelung).
Eine klare Mehrheit von 49 Prozent sprach sich sinngemäß für die Indikationsregelung aus, also daß die Schwangerschaftsunterbrechung nur in ganz bestimmten Fällen möglich sein soll, wenn sie zum Beispiel Ärzte empfehlen oder wenn schlechte soziale Verhältnisse vorliegen.
Nur jeder zehnte Befragte setzte sich für ein grundsätzliches Abtreibungsverbot und die Rückkehr zum Paragraph 144 ein.
Aufgrund vielfacher Beobachtungen beginnen gesetzliche Regelungen, sobald sie beschlossen sind, allmählich eine eigentümliche Durchsetzungskraft zu entfalten: Das Faktische wird - auch dann, wenn es anfangs ungeliebt erscheint — nach und nach häufig als verbindliche Norm akzeptiert.
Von dieser Erfahrung ausgehend, hätte man vermuten können, daß die zunächst nur von einer Minderheit bevorzugte Fristenregelung mittlerweile die Zustimmung der Mehrheit der Bevölkerung finden würde. Die Trendermittlung des IMAS, durchgeführt mit analoger Fragestellung im Mai dieses Jahres, widerlegt die skizzierte Hypothese jedoch in auffallender Weise.
Quintessenz der neuesten Untersuchung:
• Die Befürworter der Fristenregelung blieben (mit 35 Prozent) zahlenmäßig praktisch unverändert und befinden sich somit weiter in der Minderheit.
• Die Anhänger der Indikationsregelung haben sich auf 43 Prozent reduziert, bilden aber nach wie vor eine sehr deutliche relative Mehrheit.
• Die grundsätzliche Ablehnung von Schwangerschaftsunterbrechungen hat sich wieder leicht (von 10 auf 14 Prozent) erhöht.
• Ebenfalls etwas größer geworden ist die Zahl der Unentschiedenen bei dem zur Diskussion stehenden Problemkreis. Sie beträgt nun acht Prozent der Österreicher ab dem 16. Lebensjahr.
Prüft man nach, wie sich die Meinungen zur Schwangerschaftsunterbrechung in den demographischen Untergruppen der österreichischen Bevölkerung verteilen, so zeigt sich, daß über Befürwortung oder Ablehnung der Fristenregelung keineswegs in erster Linie das Alter entscheidet.
Zwar sprechen sich Angehörige der jüngeren und mittleren Generation etwas zahlreicher als ältere für eine bedingungslose Freigabe der Schwangerschaftsunterbrechung in den ersten drei Monaten aus, aber diese Unterschiede sind minimal und ohne dramatischen Akzent.
Was hingegen das Urteil über die denkbaren gesetzlichen Regelungen des Abtreibungsproblems massiv beeinflußt, sind parteipolitische Orientierung, Bildungsstatus und Wohnortgröße der Befragten.
Die Fristenregelung wird demnach mehrheitlich befürwortet von SPÖ-Anhängern, Maturanten und Akademikern sowie Großstädtern, insbesondere Wienern.
Die Indikationsregelung wird besonders klar bevorzugt von den Anhängern der bürgerlichen Parteien, überdies von Land- und Kleinstadtbewohnern, Selbständigen in Handel und Gewerbe, Landwirten, Facharbeitern, Personen mit mittlerer und einfacherer Bildung sowie — in ganz extremer Weise — von den Bewohnern der westlichen Bundesländer Salzburg, Tirol und Vorarlberg.
Die unterschiedlich verteilten Ansichten innerhalb der demographischen Gliederungen ändern freilich nichts an der Tatsache, daß die Fristenregelung heute alles in allem keine breitere Basis in der Bevölkerung besitzt als vor zehn Jahren.
Die vorliegende gesetzliche Regelung zielte, als sie beschlossen wurde, offenkundig am öffentlichen Bewußtsein vorbei. Und sie tut es auch jetzt noch.
Der Autor ist Geschäftsführer des Instituts für Markt- und Sozialanalysen (IMAS).
Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.
In Kürze startet hier der FURCHE-Navigator.
Steigen Sie ein in die Diskurse der Vergangenheit und entdecken Sie das Wesentliche für die Gegenwart. Zu jedem Artikel finden Sie weitere Beiträge, die den Blickwinkel inhaltlich erweitern und historisch vertiefen. Dafür digitalisieren wir die FURCHE zurück bis zum Gründungsjahr 1945 - wir beginnen mit dem gesamten Content der letzten 20 Jahre Entdecken Sie hier in Kürze Texte von FURCHE-Autorinnen und -Autoren wie Friedrich Heer, Thomas Bernhard, Hilde Spiel, Kardinal König, Hubert Feichtlbauer, Elfriede Jelinek oder Josef Hader!