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Natürliche Höflichkeit

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Das Fehlverhalten des Verteidigungsministers bei der Übernahme Reders steht außer Streit. Dennoch muß in der Frage der Schuldzuweisung differenziert werden.

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Das Fehlverhalten des Verteidigungsministers bei der Übernahme Reders steht außer Streit. Dennoch muß in der Frage der Schuldzuweisung differenziert werden.

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Zugleich mit der Unterbrechung der Rodung in der Au bei Hainburg hat der Bundeskanzler auch eine Denkpause angeordnet. Diese Denkpause haben die führenden Politiker aller Parteien in einem bemerkenswerten Ausmaß befolgt.

Im Zusammenhang mit dem „Fall Frischenschlager” sollten jedoch die führenden Politiker aller drei im Parlament vertretenen Parteien diese Denkpause unterbrechen und denken. In einer solchen unterbrochenen Denkpause sollten vor allem die gegen Minister Friedhelm Frischenschlager erhobenen Vorwürfe der Reihe nach geprüft werden.

Zur Übernahme Walter Reders: Der Verteidigungsminister hat die Verantwortung für die Übernahme Walter Reders übernommen, weil ihn der Außenminister um die Übernahme dieser „delikaten Angelegenheit” ersucht hatte. Der Verteidigungsminister hätte natürlich ablehnen können und sollen. Hier besteht die Schuld des Verteidigungsministers in seinem Vertrauen auf die Urteilskraft des Außenministers.

Der Verteidigungsminister hätte die Übernahme Reders einem Beamten oder Mitglied des Bundesheeres von niederem Rang zuweisen können. Dem stand entgegen, daß der Außenminister diese Übernahme als eine besonders heikle Angelegenheit bezeichnet hatte.

Zum Vorwurf, daß der Verteidigungsminister Walter Reder als kriegsgefangenen österreichischen Staatsbürger empfangen hat: Walter Reder hatte tatsächlich seine österreichische Staatsbürgerschaft aufgegeben, als er nach dem Verbot der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP), angeordnet von der österreichischen Regierung am 19. Juni 1933, ins Deutsche Reich ausgewandert ist und dort eingebürgert wurde.

Walter Reder hatte jedoch die österreichische Staatsbürgerschaft und den Status eines Kriegsgefangenen als Häftling in Italien erhalten — lange bevor Frischenschlager Minister wurde. Reder war daher zur Zeit seiner Uberstellung aus der Haft in Italien österreichischer Staatsbürger mit dem Status eines Kriegsgefangenen.

Die bittersten Vorwürfe treffen Minister Frischenschlager, weil er

Walter Reder bei der Übernahme so höflich begegnet ist. Diese Vorwürfe wären in dem Maß berechtigt, in dem die Höflichkeit Frischenschlagers von Sympathie f ür Reder motiviert war.

Es ist jedoch möglich, daß der Minister dem ihm übergebenen Gefangenen so höflich begegnet ist, weil er, Frischenschlager, eben ein höflicher Mensch ist. Schließlich wird in zivilisierten Ländern von allen im Staatsdienst Tätigen erwartet, daß sie gegenüber allen Menschen höflich sind, einschließlich verdächtigter und überführter Übeltäter, soweit deren Verhalten dies zuläßt.

Wer sich entschuldigt...

So sollen Wärter und Aufseher in Gefängnissen die ihnen zugewiesenen Häftlinge nicht in bezug auf deren jeweilige Gesetzesverletzungen behandeln, für welche sie von einem Gericht verurteilt worden sind. Möglicherweise hat Minister Frischenschlager in dem ihm überstellten Häftling nur den alten und gebeugten Mann gesehen, der dieser zu dieser Zeit war, und nicht den Kriegsverbrecher von einst.

Es ist natürlich für den Verteidigungsminister sehr schwer, sich in dieser Sache zu verteidigen. Wer sich entschuldigt, klagt sich' bekanntlich an.

Frischenschlagers einzige wirklich stichhältige Verteidigung wäre der Hinweis auf den offensichtlichen Trugschluß des Außenministers, als dieser den Bundesminister für Landesverteidigung mit dem Bundesminister für Inneres verwechselte. Letzterer wäre nämlich zuständig gewesen, den Sicherheitsdirektor der Steiermark mit der Übernahme des Häftlings zu betrauen.

Eine solche Vorgangsweise hemmt beim Verteidigungsminister offenbar jene natürliche Höflichkeit, die sein Verhalten gegenüber dem alten und gebeugten Häftling motiviert hatte, den er in Erfüllung des Ansuchens des Außenministers am 24. Jänner in Graz übernommen hat.

Während es dem Verteidigungsminister schwerfällt, in dieser Sache für sich zu sprechen, spricht ein Buch für ihn, welches er zusammen mit Erich Reiter über „Liberalismus in Europa” (Herold Verlag, 1984) verfaßt hat.

Trotz etlicher Lücken, die mit Ergänzungen korrigiert werden könnten, haben die beiden Autoren hier einen vielversprechenden Ansatz für ihr Thema geliefert und damit einen wertvollen Beitrag zum politischen Verständnis interessierter Leser.

Liberal im besten Sinn

Besonders erwähnenswert ist in diesem Buch das Kapitel über den „Exkurs: Liberalismus und die nationale Idee”, in dem sie die Anfälligkeit weiter Kreise des liberalen Bürgertums für faschistische Gruppierungen anprangern. In diesem Zusammenhang erwähnten sie ausdrücklich diese Anfälligkeit bei Anhängern liberaler Parteien in Deutschland. Allzu viele Vertreter des Liberalismus vermeiden dieses für ihr Lager peinliche Thema — nicht so Frischenschlager und Reiter.

In diesem Buch zeigen sich beide Autoren als Liberale im besten Sinn des Wortes. Das enthebt Frischenschlager natürlich nicht seiner Verantwortung für sein Fehlverhalten im Fall Reder. Ihm sollte jedoch nur der Teil der Verantwortung aufgebürdet werden, der ihm tatsächlich zukommt.

Die führenden Politiker aller Parteien sollten in der hier vorgeschlagenen Unterbrechung der Denkpause auch über ihre allzu häufig und allzu lautstark ausgedrückte Sorge um „den Ruf” oder „die Reputation” Österreichs im Ausland nachdenken. Damit haben sie kaum zum guten Ruf Österreichs beigetragen. Statt dessen haben sie das politische Selbstbewußtsein und das Selbstverständnis der heranwachsenden Generation aufs schwerste angeschlagen. Vor allem darüber sollten die Politiker nachdenken, ehe sie eine neue Denkpause einschalten.

Der Autor ist em. Universitfitsprof essor für Soziologie in Wien.

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