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Überforderte Baupolizei

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Wiens Paradebeispiel für den Zusammenprall öffentlicher Erhal-tungs- und privater Bauinteressen, der Judenplatz, weist fatale Parallelen zur Situation in gewissen internationalen Krisengebieten auf: Es herrscht zwar Waffenstillstand, aber der Status quo scheint im Moment für beide Parteien das Maximum des Erreichbaren darzustellen. Auch nach Jahren zeichnet sich kaum ein Hoffnungsschimmer ab, daß der Waffenstillstand einer konstruktiven Lösung weichen könnte.

Nach wie vor hält Kallinger an seinem Eigentum auf dem Judenplatz fest, und nach wie vor hält er an seinem Plan fest, hier Revitalisierung auf seine persönliche Art und Weise zu betreiben, die auf einen Verlust an historischer Bausubstanz und auf ein Geschäft mit Neuwohnungen hinausläuft.

Auf welche Schwierigkeiten die Erhaltung von Objekten, die nicht

um

denkmalgeschützt, aber unter den Gesichtspunkten des Ensembleschutzes erhaltungswürdig sind, in vielen Fällen stoßen wird, geht zur Genüge aus der Unbeirrbarkeit hervor, mit der ein Kallinger an seinen Plänen auf dem Judenplatz festhält, wo sowohl der Denkmal- als auch der Ensembleschutz seinen Absichten entgegensteht.

Der Ensembleschutz ist ein neues Instrument, das, seit vielen Jahrzehnten, unter anderem von Dvofäk bereits unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg, gefordert, aber erst in allerletzter Zeit unter dem Eindruck einer verheerenden Abbruchwelle verwirklicht wurde. Weitverbreitete Unklarheiten über den juristischen Hintergrund des Ensembleschutzes beseitigt Manfred F. Hocke in seiner jüngst vorgelegten Untersuchung „Denkmalschutz in Österreich“, wo er den Ensembleschutz in verfassungsrechtlicher Sicht untersucht.

Eine allgemein anerkannte Definition für dessen Objekte gibt es noch nicht — Hocke zufolge könnte man ,,darunter eine Mehrheit unbeweglicher Objekte*verstehen, die kraft ihrer geschichtlichen, künstlerischen oder kulturellen Zusammengehörigkeit eine Einheit bilden“. Hocke beantwortet die Frage, ob der Ensembleschutz „eine systematische Weiterentwicklung des Denkmalschutzes darstellt oder zufolge der Generalklausel des Art. 15 Abs. 1 Bundesverfassungsgesetz in die Kompetenz der Länder fällt“, durchaus im Sinne des Länderrechtes: Nur dort, wo sämtliche Teilobjekte eines Ensembles die Voraussetzungen des Denkmalschutzes erfüllen, kann ein so gestaltetes Ensemble unter den Kompetenztatbestand des Denkmalschutzes subsumiert werden.

In allen anderen Fällen erscheint dies unmöglich — jede andere, etwa auf die Ausdehnung des Denkmalschutzes auf historisch gewachsene Ensembles oder auf die Umgebung eines Denkmals gerichtete Lesart wäre — Hocke zufolge — verfassungswidrig: „Begriffe wie Orts-, Stadt-, Gassen- oder Landschaftsbild ... bewegen sich als ästhetischer Bildschutz in der Nähe des Denkmalschutzes, sind aber von ihm kompetenzrechtlich streng zu trennen.“

Daß der Ensembleschutz gemäß Generalklausel eindeutig eine von der Gemeinde im eigenen Wirkungskreis zu vollziehende Angelegenheit ist, wird juristisch völlig überzeugend dargelegt, hat aber vor allem in Verbindung mit dem bei dieser Gelegenheit festgestellten „engen Zusammenhang mit der örtlichen Baupolizei“ Konsequenzen, die gefährlich werden können, wenn mar sie nicht rechtzeitig erkennt. Denn die Involvierung der Baupolizei in Fragen des Denkmalschutzes hat bereite sichtbar werden lassen, daß sie dort, wo sie „in der Nähe des

Denkmalschutzes“ zu agieren hat, leicht überfordert werden kann.

„Die in Wien in dieser Materie geübte Praxis ist alles andere als transparent. Die kompetenzmäßige Ausschaltung des Bundesdenkmal-amtes aus dem Ensembleschutz mag eine Folge der verfassungsmäßigen Rechtslage sein, wäre aber, auch in der Praxis konsequent durchgeführt, ein Unglück für das Anliegen des Ensembleschutzes. Nicht nur die im Bundesdenkmalamt zu vermutende höhere Sachkenntnis, sondern auch und gerade seine Unabhängigkeit von den Kompetenz- und Machtverhältnissen innerhalb des kommunalen Sektors läßt es geboten erscheinen, daß nach einer Möglichkeit gesucht wird, das Bundesdenkmalamt — nicht auf Grund seiner verwaltungsrechtlichen, sondern auf Grund seiner fachlichen Kompetenz — auch an den Entscheidungen auf dem Gebiet des Ensembleschutzes zu beteiligen.

Hockes Auffassung, „daß die Festlegung von Altstadtschutzgebieten etwa durch Schutzzonen für eine Stadt einen Eingriff in ihre natürliche Entwicklung bedeutet“, muß mit großer Vorsicht zur Kenntnis genommen werden, ebenso wie die gerade in den letzten Jahren zumindest relativierte Meinung, es sei „für eine sinnvolle Altstadterhaltung... daher die bloß bauliche Instandhaltung oder Instandsetzung von Objekten in diesen Zonen nicht ausreichend, weil dadurch ihr endgültiger Verfall nur hinausgezögert werden kann“. Denn Hocke hat völlig recht, wenn er die Lösung soziologischer Probleme als Voraussetzung für einen nachhaltigen Erfolg betrachtet, anderseits aber steht die Tatsache, daß viele erhaltungswürdige Altstadtgebiete von sozial schwächeren Schichten bewohnt werden, in keinem Gegensatz zur Absicht, diese Stadtgebiete zu erhalten.

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