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Der „Baulöwe“ schlägt zu

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Spittelbeng: Das Wiener Stadtviertel zwischen Burg- und Siebenstem- gasse, stadtseitig begrenzt von der Breite-, aut der anderen Seite von der Sigmundsgasse. Sanierungsgebiet Revitalisierungsgebiet. Was sonst noch? Vor allem: Jener Wiener

Stadtteil, in dem diametral entge- gengesetze Revitalisierungskonzepte am härtesten aufeinanderprallen. Wo sich die Vorstellungen polarisieren, personalisieren. Auch in dieser Hinsicht ein Modellfall.

Für das Bundesdenkmalamt ist der Spittelberg ein Viertel mit einer verhältnismäßig kleinen Anzahl absolut, auf Grund ihres Ranges, schutzwürdiger Objekte. Gegen den Abbruch der übrigen wären noch vor zehn Jahren von dieser Seite wohl nur geringe Einwände laut geworden. Heute sieht man es anders, der Ensembleschutz, der auch die „minderen“, aber für die charakteristische Wirkung eines Viertels wichtigen Objekte einschließt, hat sich als Zielvorstellung durchgesetzt. Die Ty- coone der Baubranche, die „Baulöwen“, sehen es natürlich anders.

Für den Bauunternehmer Adalbert Kallinger ist der Spittelberg ein Viertel mit einer sehr kleinen Anzahl absolut, auf Grund ihres Ranges, schutzwürdiger Objekte. Der Rest gehört weggerissen: Damit mehr Menschen Platz haben, damit mehr Autos Platz haben, damit die Bagger und die Betonierer zu tun haben, damit der Schilling rollt. (Und wohin wohl soll er rollen?)

Für die Gesiba, gemeinnützige Siedkmgs- und Bauges. m. b. H., ist der Spittelberg, wie man annehmen darf, ein potentielles Experimentier- feld, wo sich entscheiden könnte, ob eine Bau- und Siedlungsges. m. b. H. wirklich nur vom Hochziehen neuer Wände, ob sie nicht vielleicht auch vom Sanieren alten Gemäuers leben, möglicherweise sogar ganz gut leben, kann. Also vom Anbieten alter Wohnungen in alten Häusern, deren Charakter mehr oder weniger gut bewahrt wird. Die Methoden, hinter barocken, klassizistischen oder bie- dermeierlichen Fassaden Wohnungen zu schaffen, die heutigen Anforderungen entsprechen, reichen von handwerklicher Renovierung mit vorsichtigen Um- und Einbauten bis zum Extrem totalen Abtragens und Neubauens, wobei die Fassade stehenbleibt und zur Kulisse wird. Modeme Wohnungen in alten Häusern sind meist sehr teuer. Sind sehr oft Zwei’twohnungen Reicher und/oder Prominenter, was bekanntlich zu einer gewissen entvitalisierten Mu- sealität führen kann.

Die IG Spittelberg wiederum erhofft sich in diesem Viertel die Chance, nicht nur ein Revitalisierungskonzept vorzuexerzieren, das auch für Nichtreiche und Nichtprominente erschwinglich sein soll, sondern auch neue Formen gemeinsamen Bestimmens und des Zusammenlebens in einem überschaubaren Stadtteil. Von dieser Seite kommen die bislang bei weitem durchdachtesten und zukunftsweisendsten Vorstellungen für eine Revitalisierung nicht nur des Spittelberges, sondern auch anderer Stadtteile, und vielleicht nicht nur solcher, denen die Baggerschaufeln und Spitzhacken der Baulöwen drohen. Gewiß, manches an ihren Vorstellungen mutet gewagt an, erfordert in der Realisierung den Mut zum Wagnis, zum Experiment. Aber dieses Wagnis stünde nicht nur dafür — ės erscheint notwendig angesichts der Krise, des menschlichen Zusammenlebens in großstädtischen Agglomerationen und verdiente daher jede mögliche Unterstützung.

Planungsdetails machen die Unterschiede der Auffassungen sichtbar.

Während im Assanierungsvorhaben des Baurates Kallinger die geldbringende „Verdichtung“ des Stadtviertels, sprich: die Unterbringung von möglichst vielen Menschen in möglichst vielen teuren Neubauwohnungen dominiert, und Kallinger mit taktischem Geschick die Aufteilung des Spittelberges in isolierte „Teilgebiete“ favorisiert, will die IG Spittelberg — ohne den anderen Einzelheiten ihres Gesamtkonzeptes für diesen Stadtteil vorzugreifen — die heute voneinander isolierten Quergassen so weit wie möglich verbinden, wofür sich verschiedene Mittel anbieten: Das Freihalten oder nur teilweise Verbauen von Baulücken, die Schaffung von Durchgängen, unseres Erachtens aber nicht zuletzt auch eine Wiederbelebung der traditionsreichen Wiener Institution der „Durchhäuser“. Dadurch wären jene Querverbindungen zwischen den heute getrennten Gassen des Spittelbergviertels zu schaffen, die eine Voraussetzung für die stärkere Integrierung des Spittelberges darstellen. Wir sind daher völlig entgegengesetzter Meinung als Kallinger, der es ,.nicht nur gerechfertigt, sondern auch sinnvoll“ findet, „den Baubestand in jeder Quergasse gesondert zu beurteilen und bei einer neuen Baumaßnahme zu berücksichtigen“. Dem dürften ja auch die von ihm selbst vorgesehenen Verbindungen zwischen Stift- und Schrankgasse widersprechen, so daß sein „Konzept“ einfach darauf hinausläuft, ein „Interessengebiet Kallinger“ vom Rest des Spittelberges zu isolieren.

Die Alternative zu diesen Absichten: Eine Verbindung der Quergassen, eine Stärkung der sozialen Kontakte und Bindungen innerhalb des Viertels, Wieder- oder Neugewinnung einer Identität, und damit eine städtebauliche und stadtsoziologische, aber auch denkmalpflegerische Chance allerersten Ranges für Wien.

Gesiba und IG Spittelberg haben offensichtlich sehr verschiedene Vorstellungen von der Revitalisierung und vor allem die IG Spittelberg führt wohl einen aufreibenden Mehrfrontenkrieg. Die unseres Erachtens katastrophalsten Absichten für den Spittelberg kommen, selbst wenn sie gutgemeint sind, von Baurat Kallinger und seiner Wohnungseigentumsgesellschaft Kawog, die wo immer möglich zur Spitzhacke tendieren.

Der Baulöwe duckt sich zum Sprung nach einem Viertel, in dem jede nicht wieder gutzumachende Abbruchaktion, aber auch jede weitere Verlotterung, einen schweren Schaden für Wien bedeuten müssen. Dies wegen der Innenstadtnähe dieses Gebietes, seiner Größe, seiner relativen Unversehrtheit.

Kallingers neueste Aktion ist ein Antrag, neun Liegenschaften in Stift- und Schrankgasse zum Assanierungsgebiet zu erklären — zum Schauplatz einer Assanierung, der, Kallingers Vorstellungen zufolge, unersetzbare Bausubstanz und mit ihr der Charakter eines Viertels zum Opfer fallen würde.

Aus begreiflichen Gründen mag, beispielsweise, Kallinger dem Hause Stiftgasse 33 kein Argument zur Erhaltung abzugewinnen — es gehört ihm. Ministerialrat Erwin Thalhammer als Präsident des Bundes denkmalamtes erklärt: „Dieses Haus hat durchaus Qualität — man muß es erhalten.“ Kallinger tritt nicht nur für Abbruch und Neubau in den alten Ausmaßen, sondern für einen Neubau unter voller Ausnutzung der hier (noch) zulässigen bauklassenmäßigen Höhe ein. Die Fassade des denkmalgeschützten Objektes ist verlottert. Der reiche Fassadenschmuck, der vor zwei Jahren, kurz nach der Räumung, noch vorhanden war, wurde mittlerweile abgeschlagen. Wie man am Spittelberg hören kann, geschah das wenige Tage (!) bevor der Denkmalschutz ausgesprochen wurde.

Reparaturmaßnahmen sollen, so kann man hören, in Form der seinerzeit von Bürgermeister Gratz so favorisierten „Ersatzvornahme“ angeordnet worden sein. Aber nicht oder bestenfalls rudimentär stattgefunden haben. Der zuständige Beamte der Baupolizei war nicht bereit, uns, mit dem allgemein üblichen telephonischen Einverständnis der Pressestelle der Stadt Wien als Rük-

kendeckung, Auskunft zu geben. Er verlangte die bislang vollkommen unübliche schriftliche Erlaubnis der Pressestelle mit einer Zei’tung zu sprechen.

Was doch zumindest den Gedanken nahelegt, Baurat Kallinger könnte einen -längeren Arm haben, als mancher in dieser Stadt vermutet. Oder es könnten hier Interessen berührt werden, von denen niemand etwas ahnt.

Auch gegenüber dem Haus Stiftgasse 31 nimmt Kallinger den Standpunkt des punktuellen Denkmalschutzes für einzelne Objekte und der freien Wildbahn gegenüber dem Rest ein, der durch die modernen Vorstellungen von Ensembleschutz ad acta gelegt wurde: „… von allen Mietern frei, schlechter Bauzustand, die Fassade durch mehrfache Renovierung in keiner Weise mehr dem ursprünglichen Zustand entsprechend“, also weg damit. (Thalhammer: „Keine weltbewegende Architektur, aber dieses Haus wäre, da es sich harmonisch seiner Umgebung einfügt, ein Verlust für dieses Gebiet.“

Insgesamt sieht Kallinger von sieben aus der Epoche vor etwa 1845 stammenden Häusern nur zwei erhalten swürdig, was man allenfalls in einer Gegend hinnehmen könnte, die bereits den letzten Rest ihres Ensemblecharakters verloren hat, so daß jedes Objekt isoliert betrachtet und nur nach seinem architektonischen Rang bewertet werden kann. In einem Stadtteil wie dem Spittelberg bedeutet dieses Verhältnis das Todesurteil über ein Ensemble und einen Hohn auf das Wort Ensemble- Schutz. Kallinger würde am liebsten auch das Haus Stiftgasse 12 (Schrankgasse 5) schleifen, weil er seinen denkmalpflegerischen Wert anzweifelt. Das Fehlen gerade dieses Hauses wäre eine Katastrophe für das Ensemble, die Wirkung der auch von Kallinger in ihrem Wert nicht in Frage gestellten Objekte Stiftgasse 8 (Hamerling-Haus) und Stiftgasse 10 (Schrankgasse 1 und 3) würde dadurch zerstört. Aber auch der Eigenwert der Fassade Schrankgasse 5 würde ihren Abbruch zum Vandalenakt stempeln.

An anderen Stellen Wiens mögen schlimmere Dinge geschehen sein. Am Spittelberg ist mehr zu zerstören als das eine oder andere Haus, das dem einen oder anderen ans Herz gewachsen sein mag. Am Spittelberg ist vor allem die Chance gefährdet, modernen Ensembleschutz zu praktizieren und den Ensembleschutz mit modernen Vorstellungen von Revitailisierung zu verbinden. Neubauten mit vielen teuren Wohnungen mögen einem Bauunternehmer durchaus legitimer Weise reizvoller erscheinen — vom Standpunkt übergeordneter Stadtinteressen sind sie kein Revitalisierungskonzep’t und ist das Konzept „Revitalisierung Spittelberg“, das er vorgelegt hat, samt seinen Garagen und sonstigem Aufputz eine Zumutung.

Wien kann dieses Revitalisierungs- Ansinnen nur zurückweisen. Baurat h. c. Dipl.-Ing. Dr. Adalbert Kallinger ist nicht in den Kreis jener Personen einzubeziehen, deren Mitwirkung an einer Revitalisierung des Spittelberges von einem anderen als von seinem eigenen Standpunkt wünschenswert erscheint Wie die Revitalisierung dieses Viertels im einzelnen aussehen soll, ist ein anderes Thema und hat mit der Kawog und ihrem Chef nichts zu tun, darf nichts mit ihnen zu tun haben.

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