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IM STREIFLICHT
TN einer Zeitung, die es wissen muß, stand zu lesen: „ ... in manchen Bezirken Wiens sind 53 Prozent der Bodenfläche Straßen und jedem Wiener Schulkind steht bloß eine Grünfläche bzw. Spielfläche von 0,46 Quadratmeter zur Verfügung. Die Folge dieser schlechten Wohnverhältnisse zeigt sich vor allem darin, daß 60,8 Prozent der Wiener Familien kinderlos sind.“ Und dann: „ ... 35.000 Wiener Kinder haben kein eigenes Bett.“ Das sind allerdings bemerkens-und beklagenswerte Zahlen — und die Wirklichkeit ist sehr wahrscheinlich noch schlimmer als die Statistik; denn „Grünflächen“ stehen zum Beispiel den Kindern der inneren Stadtbezirke überhaupt nicht zur Verfügung — höchstens die Schotterwege zwischen den Grünflächen; und der Besitz eines eigenen Bettes ist für ein Kleinkind recht wenig, wenn das Bett neben vier oder fünf anderen im selben kleinen Raum steht. Aber die Folgerungen, die jene Zeitung aus diesen Zahlen zieht — vollständige Sozialisierung des Wohnbaues und ähnliche bekannte Schlagworte —, scheinen uns nicht recht zu stimmen. Denn die Gemeinde Wien zum Beispiel baut „Normalwohnungen“, die so anormal klein sind, daß ein Kind in ihnen als Verletzung der Norm erschiene; und die — in den Spalten der „Furche“ oft beklagte — rapid fortschreitende Einschränkung der Grünanlagen beweist nicht minder, daß von der Einsicht eines Uebelstandes bisweilen ein weiter Weg zu seiner Beseitigung ist ...
'T'RAURIG, aber wahr ist es, daß die öster-reichische Architektur — seit Jahrhunderten durchaus nicht ohne internationale Bedeutung — nun in eine Art Krise geraten ist. Nicht, daß es ihr an führenden Köpfen und an Ideen fehlte; die gibt es auch heute noch. Es fehlt ihr nicht einmal an Aufträgen. Das Bedenkliche ist aber, daß neunzig von hundert Aufträgen von der öffentlichen Hand ausgeteilt werden; man muß den Leidensweg kennen, dem sich die Architekten unterwerfen müssen, wenn sie einen öffentlichen Auftrag ausführen: die bürokratischen Bedenken jeglichem ungewohnten Detail gegenüber; die Aengstlichkeit und — zugleich — Unzugänglichkeit der Baubehörden gegenüber jeder internen und noch mehr vor der „externen“ Kritik; ihre mehr ängstliche als sinnvolle Sparsamkeit — man nehme alle diese Hindernisse jeglicher Freizügigkeit und wundere sich nicht über das Aussehen der neuen Gemeindehäuser und Siedlungen. Verbürokratisierung und Nivellierung der österreichischen Architektur sind dergestalt nicht nur zu befürchten, sondern schon eingetreten. Auch so — gewissermaßen kunstgeschichtlich betrachtet — erweist sich, daß das öffentliche Bauwesen niemals das private völlig zu ersetzen vermag.
-pHERESIENFELD—nächst Wiener Neustadt— ist in seinen Ursprüngen eine Art von Kolonie gewesen, von Maria Theresia gegründet, erbaut und unterstützt, um der Aufschließung des unfruchtbaren Steinfeldes einen Mittelpunkt zu geben. Diese Ortschaft ist also in mehrfacher Hinsicht wichtig; sie ist interessant auch als barocke Anlage; leider haben spätere An- und Umbauten ihre Klarheit längst verwischt — erhalten geblieben sind nur das Ortszentrum mit Kirche und Gemeindehaus und ein oder zwei der alten Siedlungshäuser; aber auch diese sind nahe daran, zu verschwinden. Man sollte einiges aufwenden, um sie zu retten. Teils aus den zitierten kunsthistorischen Gründen, teils auch, weil diese Landschaft an der äußersten Peripherie der Großstadt nicht allzu viele architektonische oder sonstige Besonderheiten aufzuweisen hat.
EIGENTLICH ist es noch gar nicht so lange her, daß vor einem inzwischen durch Krieg vernichteten Kino im Prater ein Mann in Hemdärmeln, ein Super-Liliom, mit heiserer Stimme und in Stilblüten, deren Syntax robust wie sein Bizeps war, die Besucher anlockte. Wir wissen nicht, was aus dem Kino geworden ist, aber der obige Liliom gab dieser Tage ein kräftiges Lebenszeichen von sich. Er sitzt — offenbar — als Pressechef in einem Wiener Filmverleih und spuckt weiterhin rauhe Töne, die in mehreren Wiener Zeitungsanzeigen folgendes Echo auslösten: „Ein heißer Film — kommen Sie mit offenem Kragen! XY in dem Film Z. Pfeffer, Blut und gußeiserne Nerven! Ab morgen im Kino sowieso.“ „Der sichtbare Mensch“ nannte Bela Balasz sein rührendes Werk über den Film und die Kultur der fortschrittlichen Zukunftsmenschheit. Der sichtbare? Rülpsen sieht man doch nicht. Das hört man nur.
“EITZ, der witzige Verantwortliche der stäncli-* gen Rubrik des „Verbandes der Filmschaffenden“ in den deutschen „Filmblättern“, erLIirt von dem Vorhaben, die „Nibelungen“ als zweiteiligen Farbfilm herauszubringen. „Als Stummfilm einst ein Welterfolg“, meint FITz, „hat er als Ton- und Farbfilm auch seine Reize: Siegfried wird mit dem Anführer der Hunnen endlich deutsch reden und Etzel Farbe bekennen. Moral:
Die Filme von der Vorzeit Sage
Sind Gleichnis meist für uns're Tage;
Man schneidet sie gern in zwei Teile.
Uns ging's nicht anders mittlerweile.“
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