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Wo parken wir morgen?

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Die Probleme der Wiener Stadtplanung kann man in zwei Gruppen teilen: In die Fragen der Errichtung neuer Stadtteile und in solche der Sanierung der alten.

Obwohl seit dem Krieg große Flächen verbaut wurden, kommt die Diskussion über die erstrebenswerte Lage und Form neuer Stadtteile erst langsam in Gang. Die Notwendigkeit und Aktualität der Sanierung des alten Stadtkörpers ist den Wienern aber überhaupt noch nicht bewußt.

Der Kallinger-Plan

Einen Beitrag, ja vielleicht die Grundlage zur weiteren Diskussion dieser Frage liefert ein Vorschlag von Dipl.-Ing. Dr. Adalbert Kallin- ger („Gemeinsame Lösung des Parkproblems und der Althauserneuerung”).

Kallinger, ein Baufachmann und Realist, geht von der wachsenden Parkraumnot in den Bezirken innerhalb des Gürtels (II bis IX und XX) aus und schlägt kurz folgendes vor: Die vor 1880 errichteten Häuser dieser Bezirke erreichen die Altersgrenze, man soll daher ihren Abbruch fördern und an ihrer Stelle nicht nur höhere Neubauten errichten (das geschah auch bisher), sondern in diesen Neubauten zugleich den nötigen Parkraum vorsehen, und zwar nicht nur im Hof, sondern auch im Erdgeschoß des Hauses und in einer Unterkellerung des ganzen Grundstücks.

Das eigentliche Verdienst des Vorschlages ist aber der Nachweis, daß diese Bebauungsform auf Grund der geltenden Gesetze sowohl baulich wie finanzierungsmäßig möglich ist, daß es also nur eine Frage der Zeit ist, daß sie sich allgemein durchsetzt. Dieser Plan ist gerade das Gegenteil einer Utopie; er ist ein dankenswerter Blick in die reale Zukunft.

Gerade deshalb lohnt sich die Frage, ob wir diese Entwicklung herankommen lassen sollen. Der Vorschlag erweckt den Eindruck, als würden alle Probleme gelöst und keine neuen aufgeworfen. Nicht als Verbesserung im Einzelfall, aber als generelle Lösung für die Stadt, mit der man sich zufriedengeben kann, ist dem Kallinger-Plan einiges entgegenzuhalten.

Wollen wir das?

Der Plan zielt auf die vor 1880 errichteten Häuser. Gerade die machen aber die kulturelle Substanz der alten Vorstädte aus; eher könnte man auf viele der zwischen 1880 und

1914 errichteten Gründerzeithäuser verzichten. In den älteren Häusern lassen sich außerdem vielfach leichter Wohnungen heutigen Standards schaffen als in den späteren Zimmer- Küche-Gang-Häusern.

Der Plan bietet den Vorteil, daß der Parkraum dezentralisiert bleibt,

das heißt, daß die Bewohner sich den täglichen Weg zu und von einer Großgarage ersparen. Aber er erreicht diesen Vorteil dadurch, daß er die Läden und Betriebe, die sich ja jetzt im Erdgeschoß befinden, entfernt — und den Einzelhandel zur weiteren Konzentration in Supermärkten und Einkaufszentren zwingt.

Man stelle sich schließlich eine Straße oder Gasse vor, in der es keine Geschäfte gibt, in der der Gehsteig pro Haus zweimal von einer frequentierten Ein- und Ausfahrt gekreuzt wird — welche Funktion außer einer Zufahrt hätte diese Gasse noch? Für die bloße Zufahrt zu den Wohnungen wäre aber gar nicht so viel Verkehrsraum nötig; man könnte auf einen Teil der Straßen sogar verzichten. Trotzdem zwingt der Plan gerade zur Beibehaltung jeder einzelnen Straße in der bisherigen Breite und macht jede Änderung, Differenzierung des Verkehrsnetzes weiterhin unmöglich, ebenso die Anlage von Fußgängerzonen.

Anderseits bringt der Kallinger- Plan zwei Themen ins Gespräch, an denen man festhalten sollte. Er wirft einmal die Frage der Grundumlegung auf, ohne deren Durchführbarkeit er nicht allgemein verwirklicht werden kann. Aber es geht nicht nur darum, da und dort zwei zu schmale

Parzellen gemeinsam zu bebauen, damit man Autos aufstellen kann, sondern darum, die Grundumlegung ganz allgemein so populär zu machen, daß die gemeinsame Planung ganzer Blöcke, ja die Einbeziehung von Straßenflächen in die Umlegung möglich wird. Das ist freilich nicht vorstellbar, ohne daß den einzelnen Besitzern Vorteile winken.

Hier liefert der Kallinger-Plan einen weiteren Ansatzpunkt: Er fordert nicht eine leckerere, sondern eine sogar um 20 Prozent dichtere Bebauung der alten Parzellen. Diese Zahl läßt sich wohl nicht aufrechterhalten, wenn man weniger an den Ersatz der älteren, sondern in erster Linie an den der jüngeren, höheren Gründerzeithäuser denkt. Aber es ist Zeit, mit der Illusion der „Auflockerung” der alten Bezirke (im

Sinne einer Senkung der Geschoß- flächendichte) zu brechen, die weder wirtschaftlich realistisch noch für großstädtisches Leben erstrebenswert ist.

Der Kallinger-Plan bietet eine strukturelle Lösung zur Sanierung an, das heißt eine Lösung, die vom einzelnen Haus ausgeht und im ganzen alten Stadtgebiet anwendbar ist. Die Kritik muß von dem Glauben ausgehen, daß eine solche Lösung möglich ist.

Die Aufgabe für die Planung

Eine solche Struktur für die Bebauung müßte folgendes leisten:

Sie müßte fallweise Objekte sowohl der niedrigeren wie auch der höheren Altbebauung einbeziehen können; sie müßte überhaupt auch den Umbau einzelner Parzellen erlauben, wo die Straße beibehalten werden soll.

Sie müßte nicht nur den notwendigen Parkraum, sondern auch andere Folgeeinrichtungen, also Geschäfte, Büros, nichtstörende Betriebe (vielleicht sogar Kindergärten und Schulen), integrieren können. (Für diese beiden Punkte bietet sich eine einseitig abgestufte terrassenförmige Bebauung an.)

Sie müßte möglichst mit Hilfe der geltenden Gesetze, das heißt auf Grund eines Bebauungsplanes, durchführbar sein — sie müßte aber auch den Anreiz zur Durchführung bieten. Letzteres dürfte wohl unmöglich sein, wenn man an der Forderung nach „Auflockerung” fest- hält. Eine gleich dichte oder sogar intensivere Bebauung bei höherem Wohnkomfort ist durchaus vorstellbar, vor allem wenn man dabei nicht an mehr, sondern an größere Wohnungen denkt.

Schließlich aber müßte diese Bebauungsstruktur ein weit vorausblickendes Verkehrskonzept berücksichtigen, nicht aber alle bestehenden Straßenläufe mit ihren Breiten auf ein weiteres Jahrhundert zementieren.

Eine solche Bebauungsstruktur, oder deutlicher: Bebauungsform und . ihre Anwendung auf charakteristische Gebiete, sollte Gegenstand eines großen Ideenwettbewerbes sein.

In den fünfziger Jahren wurde das Bewußtsein wach, daß man beim Wiederaufbau nach dem Krieg große Möglichkeiten versäumt habe. Die Möglichkeiten, die sich jetzt langsam eröffnen, sind ungleich größer, und — was noch erfreulicher ist — wir haben die wirtschaftlichen Mittel, sie zu nützen.

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