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Unbekanntes Amerika

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Der gebildete Europäer wird auf die Frage, welche amerikanische Philosophen ihm bekannt sind, höchstens die Namen Emerson, William James und Dewey nennen können. Selbstverständlich kennt er auch einige hervorragende Denker, wie Jefferson und Paine, die Sich jedoch mehr mit Teilfragen im Zusammenhang mit der Unabhängigkeitserklärung befaßt haben. Nur ganz wenige werden wissen, daß der weltbekannte Schriftsteller G. Santayana als einer der prominentesten amerikanischen Philosophen anzusehen ist und daß Amerika in Ch. S. Peirce einen Philosophen von Weltformat besitzt, dem J. Bochenski in seinem Fundamentalwerk „Formale Logik“ ganze Abhandlungen gewidmet hat. Darüber hinaus gibt- es, besonders seit der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts, mehrere bedeutende Philosophen, wie den Lotze-Schüler B. P. Bowne, Josiah Royce, F E. Abbot, M. Cohen, Dewey und viele andere, von denen man sagen kann, daß sie die Grundlagen für eine eigene amerikanische Philosophie gelegt haben.

Ueber sie und eine beträchtliche Anzahl mehr oder weniger bedeutender Denker informiert das vorliegende Werk, das den Entwicklungsgang des philosophischen Denkens von den Anfängen (zweite Hälfte des 18 Jahrhunderts) bis Dewey sachkundig beschreibt, wobei es die einzelnen Denker großenteils durch ausführliche Zitate zum Wort kommen läßt. Es- zeigt sich, daß die amerikanische Philosophie, besonders unter dem Einfluß des englischen Empirismus und der Evolutionslehre, einen überaus starken, praktischen, pragmatischen, empirischen, positivistischen, utilitaristischen und sogar in gewissem Sinne einen naturalistischen Charakter besitzt, aber damit ist sie nicht erschöpft. Man lernt auch einen nicht sehr einheitlichen Transzendentalismus, einen nicht unbedeutenden kritischen Realismus, vor allem aber einen stark ausgeprägten Idealismus kennen, der sich relativ spät unter dem Einfluß der kritischen und idealistischen Philosophie Deutschlands eigensinnig entwickelt hat, aber heutzutage weniger Anklang zu finden scheint. Das Werk, das bereits 195 5 in vierter Auflage in den Vereinigten Staaten erschien, hat einen guten Ueber-setzer gefunden, der die philosophische Terminologie beherrscht. Da der Autor die wichtigsten Repräsentanten ausgewählt hat, ist sein Abriß eine wertvolle Einführung, nicht zuletzt durch die ausgezeichneten Literaturangaben, aber man muß das Werk mit einem sehr kritischen Geist lesen, denn diese Philosophie ist im ganzen gesehen zwar interessant, aber sehr jung, manchmal unausgegoren und vielfach auch etwas „wild“. Von der Neuscholastik, die nur einmal zur Sprache kommt, heißt es etwa: „In jüngster Zeit ist die realistische Philosophie des Neuthomis-mus als zwar unbedeutende, aber doch bezeichnende Kraft auch im philosophischen Denken Amerikas aufgetreten.“

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