Beslan und das Heilige der Anderen

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Von Durst entkräftet, entblößt und das unsagbare Grauen ins Gesicht geschrieben – so schleppten sich die Kinder aus der Schule. Der 1. September hat jene furchtbaren Bilder wieder geweckt, die im Herbst 2004 nach der Geiselnahme im russischen Beslan um die Welt gingen. 334 Menschen starben. Niemand kam unverletzt davon. Die Frage bleibt: Warum ausgerechnet die Kinder?

Kinder, die von ihren Eltern geliebt werden, sind diesen Eltern heilig. Das gilt weltweit und ganz im klassischen Sinn: mysterium tremendum, fascinosum und augustum zugleich. In Kindern verkörpert sich das Geheimnis des Lebens, das erschreckt, fasziniert und Glück verheißt. Die übergroße Verantwortung überfordert und macht Angst. Aber diese Menschenkinder faszinieren auch, so dass man nicht von ihnen lassen kann. Mit ihnen steht das Glücken des Lebens auf dem Spiel.
In einem Krieg aber zielt man genau auf das, was den Feinden heilig ist. So kann man sie am tiefsten treffen. Kinder, die in jeder Gesellschaft ein heiliges Gut sind, werden zur geeigneten Zielscheibe. Beslan führte das in aller Grausamkeit vor Augen.

Nicht das eigene, sondern das Heilige der Anderen wird damit zum Lackmustest. Das Zweite Vatikanische Konzil sagte über die nichtchristlichen Religionen: „Die katholische Kirche lehnt nichts von alledem ab, was in diesen Religionen wahr und heilig ist.“ Sie hat selbst nur selten nach diesem Grundsatz gehandelt. Heute erlangt er jedoch neue Bedeutung, sogar über die Religionen hinaus. Denn der gesellschaftliche Zusammenhalt hängt davon ab, ob man das Heilige der Anderen überhaupt kennt, wie man sich darüber austauscht und welchen Respekt man einander hier erweist. Wo Konflikte wachsen, dämmt der Respekt vor dem Heiligen der Anderen Gewalt ein.

Die Autorin leitet ein theologisches Forschungsprojekt zur Vulnerabilität a. d. Uni Würzburg.

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