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Gelungene W achablöse

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Bei der Kandidatenermittlung für den 1. März 1970 hielt die Wiener ÖVP anscheinend nicht viel von „Scherbengerichten“: Man war beim indirekten Weg der Auswahl und Reihung durch die Vertrauensleute geblieben. Dennoch entpuppte sich die Wiener Liste (die von der Wiener ÖVP als erster Landesorganisation vorgelegt wurde) nicht im geringsten als konservativ: Sechs von den bisherigen sechzehn Abgeordneten scheinen nicht mehr auf, ein siebenter kam bei der Reihung nicht mehr zum Zug, das Durchschnittsalter der wählbaren „neuen Garnitur“ ist um sechs Jahre jünger.

Nach vielen Jahren der Versteinerung dürfte es nicht einfach gewesen sein, den „Alten“ der Wiener Parlamentsfraktion die nunmehr erreichte oder bereits überschrittene Pensionsreife klarzumachen, etwa Altenburger (66), Gabriele (66), Kabesch (64), Kulhanek (63) und Hartl (63). Sie alle haben mehr oder weniger bedeutende Verdienste aufzuweisen, und der neue Wiener Parteiobmann Dr. Bauer mußte nicht nur sie selbst, sondern auch den meist nicht unbeachtlichen Anhang von der Notwendigkeit einer Wachablöse überzeugen.

Sozialminister Grete Rehor ist mit 59 Jahren zweifellos von der Pensionsgrenze noch entfernt, hat aber aus Gesundheitsgründen nach aufreibendem Regierungseinsatz ihr Mandat zur Verfügung gestellt. Rechtsanwalt Dr. Geischläger (50) mußte seinen sicheren Platz opfern und wird nicht zum Zug kommen.

Noch Schönheitsfehler

Die Köpfe fast der halben Parlamentsmannschaft rollen zu lassen, ist ein Beweis der Durchschlagskraft, jedoch an sich noch kein greifbarer Erfolg. Wie sehen also die neuen Listen in den einzelnen Wahlkreisen aus?

Wahlkreis I(I., 3., 4. Bezirk): Bundeskanzler Dr. Klaus, vor vier Jahren noch als Salzburger im Wiener Apparat angefeindet, ist heute unumstrittener Listenführer. An zweiter Stelle die „Arbeitsbiene“ der Wiener Fraktion, Abg. Erwin Machunze. Bundesrat DDr. Kurt Neuner, Wirtschaftsprüfer und Steuerberater, hat im Wahlkreis XII die bessere Chance für ein „Comeback“ als Abgeordneter, so daß der nächste Wirtschaftsbundkandidat, der 31jäh- rige Rechtsanwalt Dr. Heinrich Wille, zum Zug kommen könnte.

Wahlkreis II (6., 7., 8. Bezirk): Kammerpräsident Abg. Ing. Rudolf Sal- linger ist auf den Spitzenplatz vorgerückt. An zweiter Stelle Gesandter Dr. Karasek, der mit 45 Jahren genau dem Altersdurchschnitt der Gesamtliste entspricht und als hervorragend qualifizierter außenpolitischer Experte neu in das Hohe Haus einziehen soll.

Wahlkreis III (9., 18., 19. Bezirk): Landesparteiobmann Dr. Franz Bauer führt die Liste an. Sein Ausscheiden aus dem Wiener Landtag und Gemeinderat wird allgemein bedauert, doch gilt es, wieder einen „starken Wiener“ in die Bundespolitik zu bekommen, der mit den lokalen Verhältnissen bestens vertraut ist und den für die ÖVP so wichtigen Ballungsraum Wien als Hoffnungsgebiet für den Durchbruch in neue Wählenschichten entsprechend vertreten kann. Ihm folgen auf der Liste der bewährte Wirtschaftspolitiker Dr. Walter Hauser und Bundesrat Neuner.

Wahlkreis IV (2., 20., 21., 22. Bezirk): Nach den „sicheren“ Positionen scheint die ÖVP in diesem „Arbeiterwahlkreis“ ein besseres Sozialimage anzustreben: Neben den sozialpolitisch besetzten Spitzenpositionen, nämlich dem dynamischen Abg. Dr. Herbert Kohlmaier und — mit gewissem Abstand — Abg- Franz LinSbauer, ist auch die restliche Liste eine „Gewerkschaftsliste“.

Wahlkreis V (5., 10., 11. Bezirk): Der Wiener ÖAAB-Obmann Abg. Titze folgt dem verstorbenen Abg. Prinke auf den ersten Platz nach. Dahinter an wählbarer Stelle noch Abg. Doktor Kurt Fiedler.

Die Kandidaten dieses Wahlkreises sind übrigens mit einem Durchschnittsalter von nur 43 Jahren die zweitjüngsten Wiens.

Wahlkreis VI (12., 13., 15., 23. Bezirk): Nach Handelsminister Dr. Otto Mitterer steht die Wiener Landtagsabgeordnete Dr. Marga Hubinek, im Wiener Rathaus bewährte Expertin der jüngeren Generation in der Sozialpolitik, neu an zweiter Stelle.

Wahlkreis VIII (14., 16., 17. Bezirk): Der „jüngste“ Wahlkreis mit einem Durchschnittsalter von nur 42 Jahren, mit der jüngsten Kandidatin der Wiener ÖVP, Dr. Heidemarie Donnaberger (26), und zwei „neuen Ge sichtern“ auf den wählbaren Spitzenplätzen, ÖJB-Bundesobmann Di- plomkaufmann DDr. Fritz König und Gewerkschafter Karl Wedenig. An fünfter Stelle der Wirtschaftsexperte Dr. Manfred Drennig, der bei einer Wiederholung des Wiener Wahlerfolges vom 6. März das Reststimmenmandat erhalten und mit 29 Jahren als jüngster Abgeordneter ins Parlament einziehen könnte.

Wenn auch nicht alle Schönheitsfehler auf der Kandidatenliste beseitigt werden konnten, freut man sich in der Wiener ÖVP über die vorwiegend anerkennenden Kommentare. Auch parteiintern hat der „Erdrutsch“ gegenüber der alten Liste weniger Staub aufgewirbelt, als anzunehmen war. Die Ursache dafür dürfte wohl sein, daß man auf der Suche nach fachlich qualifizierten Kandidaten zwar einige Leistungsschwache übergangen, aber die vernünftige Entwicklung politischer Karrieren nicht mutwillig zerstört hat. Das gibt den ganz jungen und diesmal noch Chancenlosen unter den 75 Kandidaten die Gewähr, daß sie wirklich auf dem Sprungbrett stehen und bei entsprechender Leistung nicht im kalten Wasser landen werden.

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