6776205-1969_23_08.jpg
Digital In Arbeit

„Konkurs des Heurigen“

Werbung
Werbung
Werbung

Der Saal glich ein wenig einem griechischen Theater. War es bisher üblich, Parteiveranstaltungen In Rechtecksälen abzuhalten, in denen das Präsidium an einer markigen Stirnseite thronte und sich schon rein optisch eine klare Vorne-Rückwärts-Hierarchie bildete, reihten sich die 'Delegiertenbänke beim Wiener ÖVP-Landes-parteitag tribünenähnlich um das zur Bühne gewordene Rednerpult. Die Auftritte waren auch bühnenreif.

Der stürmischeste Parteitag, den die ÖVP seit Jahren etl,efyt hitt, sprengte aber auch aus einem anderen Grund die gewohnten Fesseln von demokratischen Partei-üblichkeiten: die präsentierten Kandidaten blieben auf der Strecke, das Parteiestablishment mußte eine spektakuläre Niederlage einstecken, das Parteivolk der Regierungspartei in der Bundeshauptstadt formierte sich offen zur Revolte. Ein neuer Stil mit neuem Beginn? Der „größte politische Heurige“ Österreichs, zu dem die Wiener ÖVP unter der Ära Hartl degeneriert war, spiegelte sich deutlich im Rundherum. Bier und Würstl waren der beim Eintritt überreichte Preis für Wohlver-halten als Wiener Bezirks- oder Bünde funktionär. Doch das Büffet — sonst vornehmlich dunstschwerer Aufenthaltsort der Wiener VolksparteUer bei früheren Parteitagen — hatte diesmal keinen Hochbetrieb. Man blieb im Saal. Die Politik verbannte selbst engagierte traditionelle Genießer zur Einsamkeit bei einem Kognak oder einem Viertel Wein. Ein neuer Stil mit einem neuen Beginn?

Leopold Hartl, der Diener mehrerer Polizeipräsidenten (die ihm vom Dienst freistellten), der sich vom kleinen Rayonsposten am Praterstern zum Oberstleutnant politisierte, hatte am Beginn nicht den Anschein erweckt, zum Zwischenstar zu werden. Von einem Logenplatz zwischen den Delegierten der „Kameradschaft der politisch Verfolgten“ und dem „Rentnerbund“ würzte der „Poldl“ (wie ihn seine Freunde im Piaristenkeller oder im Wein-haus Rieder nennen) das präsidiale Geschehen seines Stellvertreters, der ihm aber nach seiner Absetzung nachfolgte, mit urigem Sarkasmus. Dann trat er aber ans Rednerpult und rechnete mit seinen Kontrahenten ab: mit Glatzl, dem fülligen Parteisekretär, der bei der Revolte gegen ihn „Regie führte“; mit Drimmel und Mühlhauser, die ihn „fertigmachten“, mit den übrigen, die sich über die Statuten hinwegsetzten.

Zwischen Pfui und Applaus teilte sich die Meinung über Hartls Klagen im Saal. Und ein Zwischenrufer fragte an, ob er tatsächlich 15.000 Schilling im „Verein der Freunde des Wohnungseigentums“ verdiene — dessen Obmannstelle Hartl übernahm und damit dem Establishment der Falkestraße den Anlaß bot, ihn abzusetzen.

Doch Hartls Philippika im echten Ottakringerisch zog nicht mehr.

Brwch mit einer Ära? Gleichgültigkeit über einen Pensionsreifen? Von 688 gültigen Stimmen entfielen bei der späteren Wahl nur 88 auf Leopold Hartl. Der Heurige hat zugesperrt. Ein neuer Stil mit einem neuen Beginn?

Junge Delegierte meldeten sich zu Wort. Für sie hatte der Heurige nicht zugesperrt — er hatte vorher schon Konkurs angemeldet. In Hartls Ära sei der latente innere Verfall erfolgt. Man kann nicht nur den Schopf färben und glauben, schon ein neues Gesicht zu haben. Und welche Männer waren es, die jahrelang mit Hartl gelebt, gestimmt, präsidiert hätten? Dieselben, die in Hartl zwar einen Sündenbock gefunden hätten, aber noch immer an den Schalthebeln dirigierten. Und die nun wieder einen Mann ihres Vertrauens vorschicken wollten, auf den sie sich nach internen Krisen fünf vor zwölf geeinigt hätten. Den Mann des Kompromisses und der Rathauskoalition um den Preis von Vizepräsidentschaften und Lehrerposten in Wien, den Mittelschulprofessor Markus Bittner.

Der Parteitag wählte nicht ihn, sondern den „Scharfmacher“ der Wiener ÖVP (wie ihn die „Arbeiter-Zeitung“ später bezeichnete), Dr. Franz Bauer, zum neuen Obmann.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung