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Ein Moralist von heute

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Das bildnerische Werk des Wieners Curt Stenvert erzielte auf zahlreichen Auslandsausstellungen große Erfolge, in Wien ist es umstritten. Im Vorjahr war eine Auswahl dieser Arbeiten während dreier Monate im Musee d'Art Moderne de la Ville de Paris zu sehen, heuer nahm ein eigener Saal im Pariser Musee National d'Art Moderne einen Monat hindurch drei Vitrinen Stenverts auf. Die Kunstbiennale Lignano lud 68 „besonders richtungweisende Persönlichkeiten“ für ihre Ausstellung ein: Stenvert als einzigen Österreicher

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Das bildnerische Werk des Wieners Curt Stenvert erzielte auf zahlreichen Auslandsausstellungen große Erfolge, in Wien ist es umstritten. Im Vorjahr war eine Auswahl dieser Arbeiten während dreier Monate im Musee d'Art Moderne de la Ville de Paris zu sehen, heuer nahm ein eigener Saal im Pariser Musee National d'Art Moderne einen Monat hindurch drei Vitrinen Stenverts auf. Die Kunstbiennale Lignano lud 68 „besonders richtungweisende Persönlichkeiten“ für ihre Ausstellung ein: Stenvert als einzigen Österreicher

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Es gibt auch in Wien sehr anerkennende Urteile. Monsignore Otto Mauer, der Galerieleiter und Kunstkritiker, gab bei der Eröffnung einer Atelierausstellung Stenverts eine Analyse seines Schaffens und bezeichnete ihn als einen Voltaire unserer Zeit. Der Kunstsachverständige und Kritiker Ernst Koller wertete Stenverts Kreationen, in Anerkennung seiner Gesinnung, als echte Kunstwerke. Wilhelm Mrazek, der nunmehrige Direktor des österreichischen Museums für angewandte Kunst, kennzeichnete diese Schöpfungen als „Sinn- und Denkbilder der modernen Zeit“. Dem stehen die Urteile anderer Wiener Kunstkritiker entgegen, wonach Stenvert sein Talent vertan habe und die von ihm geschaffenen Objekte „Trivialitäten“, eine „Ansammlung von Gemeinplätzen“ seien, „phantasiearm und dürftig in der künstlerischen Formulierung“. Wer hat recht? Ungeteilte Anerkennung finden die Aquarelle und Graphiken aus der Frühzeit des heute Achtundvierzig-jährigen, der damals noch mit seinem eigentlichen Namen Steinwendner zeichnete. Diese Blätter geben die menschliche Gestalt in Bewegungsphasen wieder, wobei meist mehrere Phasen ineinandergeschoben sind. Es geht um die Darstellung des Funktionellen, eine Bewußtmachung fast wissenschaftlicher Art wird erreicht. Die Gliedmaßen wirken maschini-siert, bestehen aus zylindrischen Teilen oder Kegelstutzen, die Gelenkstellen sind durch Kreisflächen überbetont. Fast zwangsläufig fand Stenvert von diesem Bewegungsmäßigen her zum Film. Er begann als Dekorationsmaler, war Assistent bei einem Filmarchitekten und drehte dann als Leiter einer Filmgesellschaft einen Streifen nach E. A. Poes „Der Rabe“, Kulturfilme über Kubin, über die Impressionisten, er filmte eine von Schönbauer durchgeführte Magenoperation, ein brennendes Bergwerk, Industrieanlagen vom Flugzeug aus, er stellte einen umfangreichen Film über die VÖESt. her. Stenvert ist ein Mann der Wirklichkeit, der Praxis. Im Jahr 1963 zeigte er erstmals Wandtafeln mit reliefartig angebrachten Gegenständen, nicht gerade Fundstücke von Abfallhaufen, wie sie mitunter die Dadaisten verwendeten, wohl aber mit mancherlei, das er sich bei Altwarenhändlern oder in Spielzeughandlungen zusammengesucht hatte. In der Folge baute Stenvert diese Dinge auf Tischplatten auf, er arrangierte sie in Kasten oder Vitrinen, auch in umgehbaren Insgesamt sind es bisher 360 „Objekte“. Obwohl sie die Verwendung von Gegenständen, die anderen Zwecken dienten, mit der Pop-art gemeinsam haben, sind sie aber doch etwas grundsätzlich anderes. Nur bei reichlich oberflächlicher Betrachtung wird eine Verwechslung möglich. Die Werke Stenverts mit den gleichen Maßstäben zu messen wie irgendein Bild oder eine Skulptur, ist von vornherein verfehlt, da können nur schiefe Urteile entstehen. Es geht nicht primär um spezifische Kunstwirkungen. Schon in den Wandtafeln analysierte Stenvert vom Optischen her gedankliche Vorstellungen, er bot rationale Aussagen in scharf geistiger Facettierung oder auch ganz einfach Witziges. Doch je mehr er von diesen reliefartigen Tafeln zu räumlichen Gebilden überging, setzte er bildnerische Mittel ausschließlich für moralische Wirkungen ein, er wurde Moralist. Da Kunstwerke zwar sinnvoll, aber zweckfrei sind und Stenvert in seinen Objekten Dinge zueinander-fügt, die er aus ihren Zweckbezügen löst, wird die Frage Kunst und Moral virulent. Der 25jährige Schiller hatte bekanntlich die Schaubühne als moralische Anstalt betrachtet. Aber nach „Wallenstein“ sprach er nie mehr von einer moralischen, sozialen oder politischen Tendenz der Kunst, wie Emil Staiger erklärte, ja, er verwahrte sich vielmehr „gegen jede Unterstellung dieser Art, die seine Idee der Kunst beleidigt“. Die Vorstellung wurde beherrschend, daß alles Moralisieren das Aufkommen von Kunstwirkungen unterbinde. Religion, Kunst und Sittlichkeit sah zwar Paul Ernst später aus einer Wurzel entspringen, das Weltbild der Dichtung, der Kunst ist sonach ein moralisches, doch werden damit der Kunst keine moralischen Zwecke zugeordnet. Stenvert aber will den Menschen ändern, er will ihn zu „lebensfördernden“ Handlungen bewegen. Es geht ihm um eine funktionelle Wirkung, das ist ein Trend unserer Zeit.

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