Heimat ist, wie ich denke

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Franz Hodjaks Roman hinterfragt Begriffe wie Freiheit, Identität, Heimat.

Bernd Burger sitzt gern auf Balkons. "Heimat ist, wie ich denke", entgegnet er einmal seiner ihm Heimweh unterstellenden Frau Melitta. Da er oft auf Hotelbalkons denkt, könnte man vermuten, dass sie für ihn zur erweiterten Heimat gehören. Diese Vorbaue zwischen Himmel und Erde, dem Freien noch nicht und dem Haus nicht mehr zugehörig. Ein Balkon ist ein Zwischenreich. Und "zwischen", das ist auch das zentrale Wort in Bernd Burgers Leben.

Aus Siebenbürgen

Er ist der Held in Franz Hodjaks Roman "Ein Koffer voll Sand" und stammt wie sein Autor aus Siebenbürgen. Nun ist er unterwegs mit Frau und Tochter, auf dem Weg von Rumänien nach "Ithaka". Dass seine Frau sich immer wieder verfährt, ist Burger nur recht. Denn Ithaka, das wird für die Familie zunächst das Auffanglager der deutschen Stadt Hamm sein. "Ich flüchte vor Ithaka, vor der Ankunft, und diese Flucht ist die einzige Freiheit, die mir bleibt."

Freiheit - welche Bedeutung hatte das Wort im Rumänien Ceausescus? Ein westlicher Leser kann und soll nicht vorschnell behaupten, das Leben eines mit der Securitate aufgewachsenen Menschen zu verstehen. Hat es Literatur aus dem Osten, die von Erfahrungen mit den kommunistischen Diktaturen handelt, deshalb schwerer? Es scheint, dass mit dem Fall des Eisernen Vorhangs das Interesse der westlichen Leserschaft eher ab- denn zugenommen hat, während gleichzeitig eine Art beflissener Erweiterungspädagogik' ihrem politkonjunkturellen Höhepunkt zusteuert. Etwas nicht zu verstehen verunsichert. Bernd Burgers Gedankenwelt ist in vielem verunsichernd. Wer aber Unsicherheit als Voraussetzung für einen offenen Dialog zu schätzen weiß, wird sich freuen, Burgers Bekanntschaft zu machen.

Von Zwängen bestimmt

"Mein Leben war bisher von Zwängen bestimmt, und ich fürchte, daß es wieder in geordnete Bahnen gelenkt werden wird, und so möchte ich zwischen den Zwängen dieses kurze Interregnum der Zufälle voll genießen, weil ich Zufälle über alles liebe, aber nicht ewig in ihnen leben kann, und dazu will ich nur sagen, leider."

Bernd Burger möchte vieles nicht: Er möchte seine Vergangenheit nicht loswerden, auch wenn sie ihn belastet. Er möchte sich manch- mal nicht erinnern. Er möchte nicht nach Hamm, sondern an den Lago Maggiore, um schließlich in Vaduz zu landen. Er möchte nicht denken und tut nichts anderes. Warum ihm so daran liegt, die Reise nach Deutschland in eine Odyssee zu verwandeln? Weil er etwas schwer Fassbarem auf der Spur ist: dem Zwischen. Weil er den bestimmungslosen, bedeutungsfreien Raum zwischen Nicht-mehr und Noch-nicht ausdehnen möchte. Aus Angst? Unter anderem deshalb, weil er das "ungute Gefühl" hat, "nie wieder profund über die Freiheit richtig nach Weil man "nie profund über etwas nachdenken (kann), das man besitzt, nur über etwas, das einem fehlt (...)"?

Als die Familie in Pöchlarn Station macht und Burger seinen Koffer öffnet, ist der voller Sand. Burger ist glücklich und kann davon nicht genug haben, weil der Sand "so rein" war, "ohne Erinnerung, ohne Verzicht, ohne Verklärung", und er reibt seinen ganzen Körper damit ein, bis jede Pore an Bedeutung verliert und bis auch die "Begriffe zu dem werden, was sie wirklich sind, ein Koffer voll Sand".

Innerer Transit

Hodjaks Roman handelt von einem inneren Transit. An den Grenzen halten Begriffe Wache: Freiheit, Identität, Heimat. Die Abgabe, die jeder von uns ihnen zu entrichten hat, ist die Bedeutung, die es immer wieder neu zu erfragen gilt. Wer keine Angst vor solch grenzüberschreitendem Denken hat, sollte sich mit dem "Koffer voll Sand" zu Bernd Burger auf den Balkon setzen und ihm Gesellschaft leisten.

Ein Koffer voll Sand

Roman von Franz Hodjak

Suhrkamp Verlag, Frankfurt 2003

243 Seiten, geb., e 20,50

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