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Realistisch und parabelhaft: Kenneth Cooks "In Furcht erwachen".

Ein junger Lehrer vor den großen Ferien, schwankend zwischen Erschöpfung und Vorfreude, erlauben ihm doch die vor ihm liegenden sechs Wochen, dem Staub und der Hitze des kleinen Ortes Tiboonda im westlichen australischen Outback zu entfliehen, nach einem Jahr endlich wieder großstädtisches Flair zu erleben, aufzubrechen nach Sydney: "In Tiboonda war es niemals kühl ... Im Winter sehnte man sich nach dem Sommer, im Sommer sehnte man sich nach dem Winter, und das ganze Jahr über sehnte man sich wie verrückt danach, tausend Meilen von Tiboonda entfernt zu sein." In dieser Hoffnung macht er sich per Zug auf in die nächste Stadt, Bundanyabba. Für eine Nacht. Daraus wird eine Höllenfahrt.

Der Australier Kenneth Cook schrieb den Roman "Wake in Fright" 1961. Er wurde 1971 unter dem Titel "Outback" verfilmt und gilt als moderner Klassiker, der in Australien als Schullektüre dient.

Der Autor starb 1987 mit 57 Jahren, sein Buch überlebte und ist jetzt in deutscher Sprache zu entdecken: Ein Kunstwerk von biblischer Wucht, unausweichlich konsequent, realistisch und doch parabelhaft. Ein alter Fluch ist dem Roman vorangestellt: "May you dream of the Devil and wake in fright." ("Mögest du vom Teufel träumen und in Furcht erwachen.") In Furcht erwacht der Lehrer John Grant nach einer einzigen Nacht in der Stadt, in der er sich von einem jovial-korrupten Polizisten in eine Spielhölle führen ließ, wo er zunächst viel Geld gewann und dann alles verspielte. Ein Trinker gabelt ihn auf, zum Verlust des Geldes kommt der Verlust der Selbstachtung, indem er sich auf Kosten des anderen sinnlos betrinkt. Allmählich begreift der Leser, dass nicht nur der Lehrer ein haltloser Mensch ist: In diesem öden, furchteinflößenden Land scheinen alle Männer zu trinken, denn nichts ist kalt außer das Bier. In seiner Ausweglosigkeit lässt sich der Lehrer von Minenarbeitern auf eine Känguruh-Jagd mitnehmen. Mit dem Auto rasen die Männer durch die Nacht, ein Schlachtfest gewaltigen Ausmaßes beginnt, die Männer verfallen in einen Blutrausch: "Betrunken zu sein bedeutet Wärme und Geborgenheit, es gibt keinen Schmerz mehr, und es spielt keine Rolle, ob Känguruhs erschossen werden, furchterregend atmen und in der Nacht verschwinden; es spielt keine Rolle, ob man kleine Känguruhs in Stücke schneidet, bevor sie sterben." Blutverkrustet, ohne einen Penny, doch noch immer von der Hoffnung beseelt, nach Sydney zu gelangen, findet er einen Lastwagenfahrer, der ihn mitnimmt. Aber er erwacht nicht in Sydney, sondern wieder in der Minenstadt Bundanyabba. Ehe er sich zu erschießen versucht, erkennt er: "In fast jedem Stadium seiner persönlichen kleinen Tragödie konnte er sich an einen Punkt erinnern, wo er sich hätte anders entscheiden können." Der Schuss tötet ihn nicht, und als er nach sechs Wochen zu seiner kleinen Schule zurückkehren kann, erscheint ihm sein Leben als kostbares Geschenk. Die Einsicht, noch einmal eine Chance bekommen zu haben, erfüllt ihn mit Dankbarkeit.

Ein geniales Buch, das wie Joseph Conrads Roman "Das Herz der Finsternis" in den Abgrund der Barbarei führt und wie Malcolm Lowrys berühmter Trinkerroman "Unter dem Vulkan" in die Welt des Deliriums - aber auch wieder heraus. Ohne Schulmoral. Zutiefst menschlich und in einem Stil geschrieben, der die Ausnahmezustände eines Fallenden, Stürzenden glaubhaft abbildet.

In Furcht erwachen

Roman von Kenneth Cook

C. H. Beck Verlag, München 2006

191 Seiten, geb., e 18,40

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