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B. u. S. von drüben

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In diesen Zeiten ist eine deutsche Seele stark hin- und hergerissen und erst recht eine bayerische. Sollen wir grob und unmenschlich die Wahrheit sagen oder freundlich lügen und heucheln?

Es geht um unsere sogenannten Brüder und Schwestern aus der DDR. Nicht daß wir Ungarn und Österreich unseren pflichtschuldigsten Dank für die Hilfe versagen würden. Aber - wie so oft - beneiden wir natürlich vor allem Euch Österreicher darum, daß Ihr diese Flüchtlinge so schnell wieder los werdet.

Wir wissen natürlich, daß dieB. u. S. nichts dafürkönnen, daß sie 1945 in die sowjetisch besetzte Zone geraten s~nd. Aber viele bei uns begreifen es nicht, warum ausgerechnet die Preußen und Sachsen gleich wieder einen solch lSOprozen-tigen Superkommunismus aufbauen mußten? Warum sie sich mit so perfekter Disziplin der Parteidiktatur unterwerfen wie sonst niemand in ganz Osteuropa.

Die vielberedete, aber von niemandem in Europa wirklich gewollte deutsche Wiedervereinigunghaben wir uns auch nicht so vorgestellt, daß nach und nach 15 Millionen DDR-Deutsche sich zu uns in den übervölkerten Westen drängen und dafür zwei Millionen Muster-Funktionäre drüben im Raum ohne Volk einen Naturschutzpark verwalten.

Angeblich liegen bei den Behörden der DDR rund eine Million Ausreise-Anträge. Im vergangenen Jahr wurden rund 80.000 davon bewilligt und die B. u. S. kamen unspektakulär in die Bundesrepublik. Die paar hundert DDR-Touristen, die dazwischen immer bundesdeutsche Botschaften besetzen, stellen sich quasi vorne in die Schlange und machen öffentlichen Wirbel, zur Blamage der DDR und zum Triumph der Bildzeitung.

Wir glauben ja auch gerne, daß es den B.u.S. vor allem um Freiheit, Demokratie und Menschenrechte geht. Aber wir sehen ja auch, wie schnell sich dieser Drang auf die Konsum-Freiheit reduziert. Diejenigen, die nicht legal ausgereist, sondern über Ungarn abgehauen sind, möchten jetzt auch noch als politische Flüchtlinge anerkannt werden. Damit würden sie mit Lastenausgleich-Entschädigungen sowie weiteren Bevorzugungen, etwa bei der Wohnungs- und Arbeitsplatzsuche, nicht nur den Einheimischen sondern auch den legal ausgereisten B.u.S. wieder den vorderen Platz an der Schlange im Westen wegnehmen.

Da kommt Stimmung auf! Vor allem bei den wirklich politisch Verfolgten, die wir aus den Gefängnissen der DDR freikaufen dürfen. Und wie lange wird es dauern, bis sie gemerkt haben, daß es bei uns in Bayern am schönsten ist, und gleich dableiben? Jedenfalls hat die Regierung der Bundesrepublik jetzt bald jenen Druck, der in der DDR abgeht,

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