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Durchschnittsalter 72

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Wer ist der Mann, der seit Mai für die Verteidigung der Sowjetunion zuständig ist? Eine vergleichbare Blitzkarriere ist in der Sowjetunion nicht bekannt. Der neue Verteidigungsminister Dimitrij F. Ustinow (67) wurde ahne Armeedienst und Erfahrung plötzlich zum Armeegeneral ernannt und kaum drei Monate später, Ende Juli, zum Marschall der Sowjetarmee befördert. Nicht einmal Stalin hat eine solche militärische Karriere gemacht, als er sich im Juni 1941 zum Vorsitzenden des Staatskomitees für Verteidigung einen Monat später zum Verteidigiungs-Voliks-kommissar und erst im März 1943 zum Marschall machen Heß. Ustinow allerdings mußte — da ihm das notwendige Prestige fehlt — von der Parteiführung gegenüber der mißtrauischen Generalität gefestigt werden.

Zwei Trends, die auf Initative der Parteiführung zurückzuführen sind, sind gegenwärtig in den Streitkräften auffallend. Erstens die Stärkung der Parteiorgane in den Einheiten; zweitens die Förderung der Initiative von einfachen Unteroffizieren bis zu den hohen Einheitskomman-deuren hinauf. Mit diesen Zielsetzungen 'beschäftigte sich die Konferenz der leitenden Politoffiziere der Armee eingehend Anfang Juli in Moskau.

Die Öffentlichkeit hat Ustinows Aufstieg mit einem Achselzucken quittiert. Nicht so 'die Armeegeneräle W. G. Kulikow, S. L. Sokolow und W. F. Toliubko, die seit Jahren auf ihre wohlverdiente Beförderung zu Marschällen gewartet haben. Es scheint, daß sie sich noch jahrelang in Geduld üben müssen.

Die Sowjetmarschälle sind eine exklusive, vornehme Gruppe. Ustinow ist der 34. Marschall der Sowjetunion, aber erst der fünfte „politische Marschall“ nach Stalin, Beria, Bufeanin und Breschnjaw, die alle nicht durch militärische Qualitäten und Leistungen, im ständigen Armeedienst, den höchsten Rang erreicht haben.

Der militärische Gipfel hat den Marschällen niemals einen ruhigen Lebensabend mit Privilegien garantiert. Manche Marschälle starben als Soldaten, andere wurden exekutiert. Von den 34 Marschällen sind elf übrig, inklusive Breschnjeiw und Ustinow.

Aleksandr M. Wassüjewskij (80) ißt der Rangälteste, da er 1943 ernannt wurde, Iwan I. Jakubowisky (64) der jüngste Marschall, alber auch einer der fähigsten Soldaten der Armee und Oberbefehlshaber der vereinigten Armee der Warschauer Paktstaaten. Bagramjan, Chujkow und Moskalenko bilden die „alte Garde der Sowjetmarschälle“, da sie ihren Rang seit 1955 tragen. Wassiljewskij ist der einzige, der schon im Zweiten Weltkrieg Marschall war. Das Durchschnittsalter beträgt 72,1 Jahre. Nach der Hinrichtung dreier Marschälle vor dem Zweiten Weltkrieg betrug das Durchschnittsalter 1941 nur 54,4 Jahre.

Zwischen Partei- und Militärführung bestehen Differenzen. Die alten Marschälle und ihre Zöglinge, die aktiven Truppengeneräle, gehören nicht zur kritiklosen, ergebenen Gefolgschaft der politischen Führung, deren zwei Spitzenrepräsentanten in der Armeeführung die frischgebak-kenen Marschälle B'reschnjew und Ustinow sind. Aber wo gab es jemals eine Generalität, der es gefallen hätte, wenn die zivile Kontrolle, der Armeeführuing verstärkt werden sollte.

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