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Vier Jahre später

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Vier Jahre später erreichte die Welt die erstaunliche Mitteilung, daß das Präsidium des Obersten Sowjets über Ansuchen der volksdemokratischen Regierung Polens den Marschall der Sowjetunion Konstantin K. Rokossowski seiner Würden und Ränge in Ehren entbunden hätte, da er über Bitte der polnischen Regierung als Marschall von Polen die Reorganisation der polnischen Armee übernehmen würde. Die Warschauer Regierung beeilte sich, sofort seine Ernennung zum Kriegsminister und Vizeministerpräsidenten bekannzugeben. In der Uniform eines Marschalls von Polen, wie sie einst Pilsudski getragen hatte, zog Rokossowski in Warschau ein — in die Stadt, vor deren brennenden Mauern seine Armeen wochenlang stillgestanden waren, weil es die Politik des Kremls gebot. Seither fehlt bei keiner der Feierlichkeiten und Kundgebungen dieser schlanke, hochgewachsene Offizier, der als ungekrönter Vizekönig Moskaus die historischen Aufgaben, die einstmals die Großfürsten des Zaren in der ewig rebellierenden polnischen Hauptstadt zu erfüllen hatten, übernahm. Rokossowski fügte sich gut in diese Rolle, wie überhaupt der Lebenslauf und Aufstieg dieses Mannes bunter, farbiger, aber auch erregender ist, als dies die offizielle russische Geschichtsschreibung zugeben will.

Schon der polnische Name ist kein Zufall. Die Familie des jetzigen Marschalls von Polen stammt aus Shitomir, aus jener polnischen Splitterbevölkerung, die inmitten der Ukraine der eigentliche Herd so vieler Minderheitskämpfe und Unruhen in der Vergangenheit war. Vom ursprünglichen Zivilberuf eines Angestellten der zaristischen Straßenbauverwaltung wirft der erste Weltkrieg den jungen Rokossowski in die Laufbahn des Soldaten. Als 1917 die Revolution ausbricht, ist er Stabshauptmann in einem Garderegiment mit einer außerordentlich guten Dienstbeschreibung. Inmitten der Wirren des Bürgerkrieges stellt er sich — wie Tuchatschewski, dessen Sturz um ein Haar auch für Rokossowski zum Verhängnis werden sollte — der Revolution zur Verfügung. Trotzki wird auf ihn aufmerksam und ernennt ihn zum Chef der in Bildung begriffenen Operationsabteilung der neu aufgestellten Roten Armee. Das besondere Vertrauen Frunses, des stärksten militärischen Kopfes, den die Rote Armee in den ersten Nachkriegsjahren besaß, hob ihn sehr bald aus der Masse der übrigen Offiziere heraus, und seine Freundschaft mit Woroschilow, dem alten Revolutionsgeneral Stalins, festigte auch seine Position gegenüber der Parteiführung. Diese Bindung an Woroschilow sollte Rokossowskis Glücksstern werden. Ihm verdankte er Auslandskommandos, wie etwa eine Sondermission zu der Fernostarmee des sagenhaften Marschalls Blücher.

1937 begann die große Personalkrise der Roten Armee ihren Höhepunkt zu erreichen. Als Folge der Entfernung Tucha-tschewskis und seines Mitarbeiterkreises versuchten die Kräfte der GPU und der Partei, alle verdächtigen Offiziersgruppen zu beseitigen. Rokossowski kam damals fast unter die Räder des Säuberungsapparats, hätte nicht Woroschilow zu seinen Gunsten eingegriffen. Sein militärischer Rang blieb ihm erhalten und die von manchen englischen Schriftstellern zitierte Haft in einem Arbeitslager war lediglich ein peinliches Verhör, bei dem Rokossowski seinen Standpunkt eines Berufsoffiziers fernab der politischen Machtkämpfe zu verteidigen wußte. Aber 1939 und 1941 schien er noch keineswegs in den Heeresberichten auf, erst in der Schlacht um Moskau begründete er seinen Ruf als „russischer Clausewitz“. Der methodische Denker und ehemalige zaristische Stabshauptmann war sich vom Anfang darüber im klaren, daß die deutschen Operationen gegen Moskau eine tödliche Gefahr bedeuteten, obgleich einflußreiche Kräfte des Politbüros wie gebannt auf die südlichen Zangenbewegungen der deutschen Heeressäulen blickten. Am 6. Dezember 1941 konnte er nach der Wiedereinnahme von Istra als General einer rasch zusammengerafften Armee die Abwendung der Gefahr für die Hauptstadt über eine direkte Linie dem Kreml melden. Guderians Panzerspitzen, geschwächt durch die eigensinnige Taktik Hitlers, die Doppeloperation im Süden und gegen Moskau gleichzeitig durchzuführen, blieben hilflos liegen. Seither verbanden sich alle wichtigen Operationen mit seinem Namen. Der Glanz, der Ruhm und die Auszeichnungen, die der Kreml freigiebigst seinen Feldherrn verlieh, betrafen auch Rokossowski, der beharrlich die Wiedereinführung der zaristischen goldenen Schulterstücke für das Offizierskorps gefordert hatte — einstmals die Zeichen reaktionärer Gesinnung in der Zeit des Bürgerkrieges.

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