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Die Flucht zu sich selbst

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Im folgenden berichtet unser Gewährsmann mit bewußter Zurückhaltung von drei polnischen Schicksalen der letzten Zeit. Der Bericht stellt keine vorschnelle menschliche Anklage, aber auch kein bloßes Plädoyer für die tragische Position dieser Persönlichkeiten dar; er will vielmehr der Erhellung der komplexen Verhältnisse im Ostraum und seiner vieldeutigen menschlichen Schicksale dienen. „Die Furche.“

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Im folgenden berichtet unser Gewährsmann mit bewußter Zurückhaltung von drei polnischen Schicksalen der letzten Zeit. Der Bericht stellt keine vorschnelle menschliche Anklage, aber auch kein bloßes Plädoyer für die tragische Position dieser Persönlichkeiten dar; er will vielmehr der Erhellung der komplexen Verhältnisse im Ostraum und seiner vieldeutigen menschlichen Schicksale dienen. „Die Furche.“

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Drei Episoden aus der letzten Zeit werfen auf die polnischen Verhältnisse ein grelles Licht. Der Hintergrund ist in allen diesen Fällen gleich. Menschen, unter dem Zwang der Gegebenheiten einem Regime dienend, dem sie aus weltanschaulichen und nationalen Gründen erhebliche Vorbehalte entgegenbrachten, von dem sie aber trotz allem eine Entwicklung zum Besseren erhofften, erweckten bis zuletzt den Anschein, eben diesem System mit Haut und Haaren verschrieben zu sein, solange, bis ihnen das ständige Bekunden einer erheuchelten Liebe unerträglich wurde und bis sich ihnen die Gelegenheit zur Flucht darbot, oder bis die argwöhnischen Machthaber und deren Polizei den unfreiwilligen Mitarbeitern, den der Not gehorchenden Bundesgenossen, auf deren wahre Gesinnung kamen.

Mitarbeit und trügerische Bundesgenossenschaft hatten die mannigfachsten Beweggründe: das Streben, durch eigene Leistung zwar einem innerlich abgelehnten Regime, doch immerhin einer guten Sache, nämlich dem Wiederaufbau des Vaterlandes zu nützen; den Wunsch, an wichtigen Posten Aergeres zu verhüten und durch die Anwesenheit eines innerlich nur dem nationalen Interesse getreuen Polen die eines hundertprozentigen, sowjethörigen Kommunisten zu verhindern; die begreifliche Sorge ums nackte Leben und um die Existenz der Familie; nicht selten Ehrgeiz und noch öfter der Drang nach Verwertung seiner Fähigkeiten, der gerade bei begabten Menschen heftig anspornt; endlich, wer wollte da den Stein auf Schwache werfen, die Furcht vor Repressalien, vor Not und vor Verfolgung. Wir möchten nicht entscheiden, welche Motive in den einzelnen Fällen mitgespielt haben, von denen wir nun zu berichten haben. Doch die Lehre aus ihnen allen ist eindeutig klar: sie ist im Sprichwort ausgedrückt, daß erzwungene Liebe Gott leid tut.

Da ist Kapitän C w i k 1 i ii s k 1. Er kommandiert seit Jahren das größte Schiff der polnischen Handelsmarine, den „Batory“. Er durchquert oftmals den Atlantik. Mehrmals gibt es Hader mit den angelsächsischen Seebehörden. Der „Batory“ befördert kommunistische Agenten, bolschewistische Propagandaliteratur tonnenweise. Einmal ist er „front page“, als der spätere ostdeutsche Federkriegsminister Gerhard Eisler vom Bord des Schiffes weg verhaftet werden soll. Der Kapitän gebärdete sich damals wie ein echter und rechter Bolschewist, protestiert und verteidigt seinen illustren Fahrgast. Wer hätte geahnt, daß Öwiklinski wenige Jahre später bei denselben britischen Behörden um Asyl bitten werde, denen er Eisler so grimmig zu entreißen suchte?

Noch überraschender und fesselnder ist!

der Absprung des Krakauer Völkerrechtslehrers Marek K o r o w i c z. Ein Gelehrter von internationalem Ruf, heute 50jährig, lenkte er früh die Aufmerksamkeit durch wissenschaftliche Arbeiten auf sich. Er wird Leiter des Minderheitsamtes der Polen im damals noch preußischen Oberschlesien, verteidigt die Rechte seiner Sprachgenossen und schildert, nach dem Zweiten Weltkrieg, den Minoritätenschutz in Oberschlesien: sein Werk über „Ein Experiment des Völkerrechts“ hat geradezu dokumentarischen Wert. Es bahnt ihm den Weg zur Krakauer Lehrkanzel. Korowicz, glühender Patriot, dessen nahe Verwandte sämtlich in der Widerstandsbewegung gegen die deutschen Okkupanten den Tod fanden, glaubte anfangs, seinem Vaterland vorbehaltlos dienen zu können. Bald sieht er sich mitgefangen, mitgehangen. Er muß alle Demütigungen, alle Opfer eines klaren Intellekts über sich ergehen lassen. Wie andere Wissenschafter, kann er seine Lehrtätigkeit nur ausüben, wenn er die vorgeschriebenen Thesen des kommunistischen Regimes verficht. Noch zuletzt finden wir ihn, mit sämtlichen führenden Vertretern des Staatsrechts und des Völkerrechts, unter den Professoren, die in einer anbefohlenen „Wissenschaftlichen Tagung“ der gleichgeschalteten neuen Akademie der Wissenschaften die kommunistische, der Stalinschen Sowjetverfassung nachgebildete Konstitution vom 22. Juli 1952 lobpreisend zergliedern. Er referiert über „Die Souveränität im Lichte der Verfassung der Polnischen Volksrepublik“, zusammen mit den Professoren Lachs und Katz-Suchy, die mit ihm gemeinsam in der polnischen Delegation zur UNO-Versammlung in New York erscheinen. Dafür wird er, zwei Monate später, auf der „Liberte“ die Reise nach den USA antreten dürfen. Darauf hat Korowicz seit Jahren gewartet: legal das Land verlassen zu können, in dem er sich als Gefangener fühlte und das er dennoch so heiß liebte. Der Rest ist aus den Zeitungen bekannt. Nun vermag Korowicz endlich zu sagen, was er wirklich von der Souveränität Polens meint.

Drittens, im Prozeß gegen den Bischof von Kielce, Czeslaw Kaczmarek, tritt als Hauptbelastungszeuge auf Tadeus Chromecki, ehemaliger Direktor im Warschauer Außenministerium. Er wird aus der Untersuchungshaft vorgeführt. Ein Vorkriegsdiplomat aus gutem Adel, Sekretär bei der Botschaft in Rom vor dem Zweiten Weltkrieg; er gehörte Zur sogenannten „Sanacja“, dem Kreis der Legionäre Pilsudskis, doch galt er eher als westlich orientiert, sehr begabt, sprachenkundig und mit den Zuständen in allen europäischen Hauptländern wohlvertraut, wurde er nach Wiederherstellung des polnischen Staats sehr gerne in den diplomatischen

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