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Tuchatschwskij hatte keinen Putsch vor

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Isaac Deutscher gibt in seiner Stalin-Biographie zwar zu, daß die „genauen Umstände der Verschwörung Tuchatschewskijs und des Zusammenbruchs dieser · Aktion" bis heute nicht bekanntgeworden seien, schildert dann jedoch sehr eindrucksvoll, was nach seinem Dafürhalten Tuchatschewskij und die anderen Kommandeure der Roten Armee im. Sinne hatten: Die Generäle planten einen Staatsstreich, standen aber nicht - wie von Stalin behauptet - im Dienste einer fremden Macht. Der Hauptakt sollte eine Palastrevolution im Kreml sein, bei der Stalin ermordet werden sollte. Außerhalb des Kremls sollte ein militärischer Schlag erfolgen. Unter anderem war die Besetzung des Hauptquartiers des Staatssicherheitsdienstes vorgesehen. „Tuchatschewskij war die treibende Kraft dieser Verschwörung . . . Er war von allen Männern jener Zeit, Soldaten und Zivilisten, der einzige, der in vieler Hinsicht dem jungen Bonaparte ähnelte, und er wäre auch der Mann dazu gewesen, die Rolle des Ersten Konsuls in der russischen Republik zu spielen . . . General Jakir, der Platzkommandant von Leningrad, war sich seiner Truppen sicher. "

Wie weit Deutscher die Phantasie spielen läßt, zeigt seine Schilderung der Verhaftung Tuchatschewskijs. Nach Deutsc.hers

Angaben wurde der Marschall dabei verwundet und deshalb auf einer Tragbahre vor Stalin gebracht, mit dem er einen langen und heftigen Wortwechsel hatte. Danach wurde der Marschall der Roten Armee in das Gefängnis zurückgeschafft.

Auch hier: Das, was Deutscher behauptet, hört sich zwar gut an, entspricht aber nicht den Tatsachen. Selbstverständlich wurde Tuchatschewskij bei seiner Verhaftung nicht verwundet. Ebenso fand niemals ein Gespräch zwischen Stalin und dem auf einer Bahre liegenden Marschall statt. Und J akir konnte sich der Truppen in Leningrad nicht sicher sein. Er war nämlich Kommandeur des Wehrkreises in Kiew . . .

E s ist nicht sehr schwierig, der Quelle nachzugehen, aus welcher Isaac Deutscher seine „Informationen" über die antistalinistische Verschwörung in der Roten Armee bezogen hatte. In der Ausgabe vom 27. Oktober 1938 der Zeitschrift für Wehrmacht und Wehrpol itik „Deutsche Wehr" wurde unter dem Titel „Die Sowjetunion auf dem Wege zum Bonapartismus?" ein Beitrag von A. Agricola veröffentlicht. Der Autor behauptet darin, daß Tuchatschewskij - „wie wir

jetzt zuverlässig wissen" - bereits 1935 Vorbereitungen zu seinem Putsch begonnen habe. „Der genaue Umsturztermin war schon im Dezember 1936 für den Mai 1937 festgesetzt, als die Sache im letzten Augenblick durch Verrat scheiterte."

In dem Artikel finden sich übrigens zwei bemerkenswerte Angaben. Erstens behauptet der Autor, daß der „Umsturztermin" im Dezember 1936 festgesetzt worden sei. Im Dezember kam die Lawine tatsächlich ins Rollen; ausgelöst .wurde sie allerdings nicht von Tuchatschewskij, sondern von Stalin und Heydrich.

Hier drängt sich die Frage auf, ob der Artikel nicht hauptsächlich dazu bestimmt war, der Öffentlichkeit den Namen des Doppelagenten Skoblin preiszugeben und ihri damit vor der Welt zu entlarven. Denn alles spricht dafür, daß hinter Agricolas Beitrag das Amt Ausland/Abwehr des Admirals Wilhelm Canaris stand, des Rivalen Reinhard Heydrichs: Von einer Verschwörung Michail Tuchatschewskijs gegen Stalin waren merkwürdigerweise offenbar nur diejenigen fest überzeugt, die am besten wissen mußten, daß der Marschall keine Palastrevolution gegen Stalin vorbereitete: Angehörige der „Spezialabteilung" Michail Frinowskijs.

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