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Der Hammer im Rat der Vier

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Wie eine Sphinx mit steinernem Antlitz, ein unlösbares Rätsel, erscheint dem abendländischen Mensdien oft Molotow, Rußlands Außenminister, der unbarmherzige Neinsager der großen Vier. Um dieses Rätsel, das zugleich Bewunderung und Furcht zu verbreiten scheint, ist viel herumgeraten worden, ohne daß eine einleuchtende psychologische Erklärung der mächtigen Persönlichkeit dieses Russen gegeben worden wäre. Das psychologische Erkennen ist eine große Kunst in der Politik; zumal, wenn es beißt im Verkehr mit Völkern fremder Rasse und Lebensart immer aufs neue die besonderen Eigenheiten des anderen Teiles zu entschleiern und durch ihr Verstehen zur Verständigung vorzudringen. Selbst im Räume der alten Monarchie haben wir Österreicher oft mit Erstaunen erkennen müssen, welchen Irrtümern wir uns in wichtigen politischen Auseinan Versetzungen mit Ungarn hingegeben hatten, so daß es uns oft schien, als ob bei denselben Voraussetzungen die Logik der beiden Partner aus einer naturgegeben verschiedenen Denkart zu verschiedenen Schlüssen führe. Die wirklichen Gründe für dieses Nichtverstehen, die unter Tag liegende psychologische Situation festzustellen, macht dann die große Weisheit und zuweilen in solchen Lagen den Erfolg aus.

Im Londoner „Spectator“ (Nr. 6165) hat kürzlich Edward Crankshaw mit einem anziehenden Aufsatz ein Profil Molo-tows gezeichnet, das die Züge überzeugender Lebenswahrheit trägt und manche Frage um diesen wichtigen Actor des heutigen großen Welttheaters beantwortet.

Der Verfasser geht von der Erinnerung aus, daß Stalins Sieg über1 Trotzky nicht das Resultat eines Duells zwischen zwei Männern war, sondern eines Krieges zwischen zwei Parteien. Und Molotow war eines der in der ersten Reihe stehenden Mitglieder der siegenden Partei. Das sei notwendig festzustellen, weil man nur dann die Stellung und die Autorität des sowjetischen Außenministers verstehen kann, der, weit davon entfernt ein passives Instrument in der Hand Stalins zu sein, ein unersetzlicher Bestandteil des Kräfteparallelogramms ist, dem Stalin seinen Namen gegeben hat. Der englische Autor fährt fort: Während seiner ganzen Karriere hat Molotow immer einen einzig dastehenden

Platz in der Staatsmaschinerie eingenommen. Nicht umsonst hatte Stalin, trotz heftiger Opposition der alten Garde, ihn in den frühesten Tagen der Revolution nach Moskau berufen und sich auf ihn unerschütterlich verlassen während der Jahre innerer Kämpfe. Seither hat er ihn ohne Unterbrechung als Sturmbock im Kampf um die nationale Existenz verwendet, beginnend mit den Auseinandersetzungen im Inneren für die Kollektivisierung der Landwirtschaft und der Industrialisierung des Landes, und nachdem diese Kämpfe gewonnen waren, für den Kampf nach außen um die Sidierheit.

Vacheslav Mihailovich Scriabin — er war dies — wurde im Jahre 1S90 in der Provinz Viatka in der Mitte der großen russischen Tiefebene geboren. Sein Vater, ein Angestellter in der Provinz, hatte große Pläne für seinen vielversprechenden Sohn, der aber mit 16 Jahren der ihm vorgezeichneten Zukunft den Rücken kehrte. Das Ungewöhnliche dabei war, daß der junge Scriabin (von da an „Molotow“, „Hammer“ auf russisch) dem Leninschen bolschewistischen Flügel der Partei beitrat und mit ihm durch dick und dünn ging. Die Bolschewiken waren unbeliebt, aber sie waren radikal. Es war nichts Verschwommenes an ihnen und sie schlössen keine Kompromisse. So zeigte sich beim 16jährigen Molotow eine Vorliebe für das Scharfgesdinit-tene, das Radikale. Etwas später, im Kampf mit Trotzky, erwarb er sich den tiefen Glauben an Rußland und an dessen Bestimmung, welche seither seine ganze Einstellung gegenüber der Revolution und der übrigen Welt bestimmt hat und die ohne Zweifel auch machtvollen Einfluß auf Stalin hatte, als es mit Zinovjew und Kamenew zum Bruche kam. Alle diese Vorzüge mußten früher oder später jedem klar werden, der irgendwo mit ihm in Kontakt kam, gleichzeitig mit seiner Leistungsfähigkeit für ungeheure und aufopfernde Arbeit. Aber was Stalin in diesen ersten Tagen wußte und was anscheinend von Lenin n-etv. anerkannt wurde, sicherlicii nicht durch Trotzky, war, daß Molotow auch ein Mann der Tat war. Nach einigen Jahren der normalen Existenz der Revolutionären, die in Rußland geblieben, ge-arbeitrt hatten und eine Untergrundbewegung gründeten, die aller, jerer. nicht traute — außer Lenin —, die ins Ausland geflohen waren, erkannte Molotow im Februar 1917, als die Dynastie- fiel und die provisorische Regierung zur Macht kam, seine Stunde. Lenin war im Ausland, Stalin und Kamenew waren in Sibirien. Die Petersburger Bolschewiken mußten vorbereitet, diszipliniert, abseits gehalten werden vom unermeßlichen Strudel unorganischer Revolten, nicht angegriffen bei Menschiwistischen Heräsien und bereit für den Stichtag. Das war, was der junge Molotow aus der Situation erkannte und was Lenin brauchte. Und in diesem Moment übernahm Molotow die Verantwortung und die Führung. Als Stalin und Kamenew endlich von Sibirien zurückkamen, übergab er ihnen diese sich selbst geschaffene Stellung in voller Arbeit. Als Lenin von der Schweiz zurückkam, sank er zurück in die Rolle eines loyalen jungen Parteimitgliedes, das sich mit Eifer unterstützenden Handlungen widmete. Aber Stalin hatte in ihm seinen geborenen Stabschef erkannt und bald wurde er nach Moskau berufen. Der englische Biograph sieht deshalb Molotow in der besonderen Rolle eines Hüters der russischen Revolution. 1931, als der erste Fünfjahrplan nicht sehr erfolgversprechend arbeitete und Stalin die Zukunft der russischen Revolution — koste es was es wolle — von seinem eigenen Erfolg abhängig machte, tauchte Molotow aus dem Polit-Büro atrf und erhielt seine erste Staatsstellung, indem er die unglückliche und laut schimpfende Wählerschaft zur rollen Unterstützung des Parteiprogramms aufforderte und sie in dieser Richtung an der Stange hielt. 1939, nachdem die Nazi Prag eingenommen hatten und Litwinow von seiner ständigen Aufgabe, die freundschaftliche Verbindung mit Frankreich, Amerika und England zu erhalten und eine gemeinsame Außenpolitik der kollektiven Sicherheit anzubahnen zurückgezogen wurde, beauftragte Stalin Molotow mit der Führung der russischen auswärtigen Politik.

Man kann — schließt Edward Crankshaw — sagen, daß es Molotows einzige hervorragende Passion ist, über die Sicherheit der Revolution, mit welcher er die Sicherheit Rußlands meint, zu wachen. Daß er Ideale habe, sei jedem klar, der seine Karriere verfolgt hat. Aber er besitzt zu einem außerordentlichen Grade jene besondere russische Qualität, seine Ideale unkorrumpiert zu erhalten und solange aufs Eis zu legen, bis ihre Realisierung praktisch erscheint. Da er diese Sicherheit in der gegenwärtigen Einstellung Englands und Amerikas nicht garantiert sehe, suchte er eine unilaterale Sicherheit, bewußt der Risken solcher Politik.

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