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Partei oder Heer

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Seit Breschnjews Selbstbeförderung zum Marschall und seit der Ernennung eines Zivilisten zum Verteidigungsminister ist in der Sowjetunion der Vertrauensschwund zwischen Parfei-und .Armeeführung akut geworden. In den Spitzengremjen der Partei, im Zentralkomitee und im Zentralen Kontrollkomitee, sank der Anteil der Militärs nach dem kürzlichen 25. Parteikongreß auf 6,2 Prozent^, früher -schwänkteve^rzwischen 7 und 9,5 Prozent. In absoluten Zahlen ausgedruckt erfolgte -keine Wesentliche-Veränderungzuungunsten der Armee. Das Verhältnis zwischen Partei- und Armeeführung ist jedoch dadurch einseitiger geworden, daß die Schein- und Paradesoldaten Marschall Breschnjew und Armeegeneral Ustinow, die zu den Militärs gezählt werden, den Einfluß der Armee eher schwächen als stärken.

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Seit Breschnjews Selbstbeförderung zum Marschall und seit der Ernennung eines Zivilisten zum Verteidigungsminister ist in der Sowjetunion der Vertrauensschwund zwischen Parfei-und .Armeeführung akut geworden. In den Spitzengremjen der Partei, im Zentralkomitee und im Zentralen Kontrollkomitee, sank der Anteil der Militärs nach dem kürzlichen 25. Parteikongreß auf 6,2 Prozent^, früher -schwänkteve^rzwischen 7 und 9,5 Prozent. In absoluten Zahlen ausgedruckt erfolgte -keine Wesentliche-Veränderungzuungunsten der Armee. Das Verhältnis zwischen Partei- und Armeeführung ist jedoch dadurch einseitiger geworden, daß die Schein- und Paradesoldaten Marschall Breschnjew und Armeegeneral Ustinow, die zu den Militärs gezählt werden, den Einfluß der Armee eher schwächen als stärken.

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Ein scheinbarer Widerspruch ergilbt sich daraus, daß einerseits die Parteiführung bemüht ist, die Zahl der Beruf simiiitärs in der Parteiführung niedrig zu halten und auf diese Weise deren politischen Einfluß zu reduzieren (was naturgemäß zu einer Stärkung des parteipolitischen Einflusses in der Armeeführung führen muß), anderseits jedoch zahlreiche jüngere Generäle in die Spitzengremien der Partei eingegliedert werden, uim dort an die kürzere Parteikandare genommen zu werden. Nichts fürchtet nämlich die Parteiführung mehr als einen „Bonapartis-mus“ in der Armee. Um die politischen Führungsamfoitionen einiger iGeneräle zu bremsen, vereitelte die Partei alle Absichten der Armee, vier weitere Sitze im Zentralkomitee zu gewinnen, und dies im Gegensatz puim 24. Par.teLkongreß, auf dem die (Militärs einen Gewinn von sechs iSitzen verbuchen koninten.

Dimitrij Ustinow, der eiligst aus politischen Gründen zum „Armeegeneral“ und Verteidigungsminister ernannt wurde, ist sogar im Land (der politischen Unmöglichkeiten ein jKiurioaum. Nur einmal, vor mehr als elf Jahren geschah ähnliches, als der ,,Polit-MarscbaM“ Nikolaj Bulganin Verteidiigungaminister, dann aber eiligst abserviert wurde. Kein Wun-ider, daß das jetzige Eingreifen der Parteiführung in die Domäne der (Generalität als „stalinistische Verlirrung“ qualifiziert wurde. Am ischwersten wunde davon Genaral-istaibschef und Armeegeneral Viktor iKuflikow getroffen, dem der Posten des Verteidigungsministers jedenfalls zugestanden wäre. Er vertrat lim übrigen immer offen den Standpunkt, daß auch in Friedenszeiten ein aktiver General das Verteidi-gungsministerium leiten sollte. In-iteressanterweise haben die Militärs ischon einmal, und zwar nach dem Tod des Marschalls Maiinowskij,

(verhindert, daß mit Hilfe des Politbüros und Breschnjews derselbe iUstinow an die Spitze des Venteidi-igungsrainfoteriiums kam. Sie erzwangen damals die Berufung Marschall iGretsc'hkos. Der Rüstungsfachmann iUstinow ist mit seinen 68 Lebens-Hahren bereits ein pensionsreifer Mann, der übrigens bereits als Nachfolger des Ministerpräsidenten Kos-Bygin vorgesehen war. Das unerwartete Fait accompiM kam dann binnen (weniger Stunden zustande. Ustinow iwurde auf dem 25. Parteikongreß eiligst zsum VolLmitgÄed des Politbüros .gewählt“. In sowjetischen FübrungskreiiSen hält man das Ganze ifür eine „Interimslösung“. Was dabei für die Generalität zäfhüt, ist, daß taiiit Ustinows Ernennung ein Präzedenzfall geschaffen wurde. Ein als PolitgeneraJ getarnter Parteiführer gelangte an die Spitze der gesamten Landesverteidigung, der strategischen Planung und der Arm.iefüh-irung.

Die Generalität schließt daraus, daß die Parteiführung an der Loyalität der Armeeführung zu -rweifeln beginnt und daher bestrebt ist, den JBinfüuß der Politiker demonstrativ izu stärken. Kann es unter solchen (Umständen eine aufrichtige und reibungslose Zusammenarbeit geben? Armeegeneral Kulikows oftmals vertretene These von der „natuirbeding-iten Rolle des Generalstabes“ scheint idiaimit ihre Gültigkeit verloren zu haben. Die Partei hält vielmehr dafür, daß die Einheit von militärischer und politischer Führung auf dem nunmehr eingeschlagenen Wege besser gesichert sei. Ein Störungseäe-ment könnte sich jedoch daraus ergeben, daß Ustinow seinen bisherigen Mätarbeiterstab, über die Köpfe der Militärs hinweg, in das Vertesdi-gunigsministerium verpflanzt.

Am 8. Mai 1976 besiegte Breschnjew die kollektive Eitelkeit der Generäle Üiuroh seine eigene, indem er seine

militärische Karriere mit der Setbst-befördenung zum Marschall krönte. Und dies gerade am Tage des Sieges von 1945, als ob er damals erfolgreich gewesen wäre und nicht die Armeeführung und die ausgebluteten Div'sionen. In dem von Pod-gomy unterfertigten Emennungs-idekret wurde Breschnjew „Präsident des Verteidigungsrats“ genannt, was ebenfalls einer Überraschung gleichkam und keine geringe Aufregung verursachte. Seit Chruschtschows Zeiten hatte man nichts mehr von einem Verteidigungsrat gehört. Soll also in Zukunft das höchste strategische Kommando in Breschnjews Händen liegen? Und überhaupt: wer ist jetzt der oberste Befehlshaber der .Sowjetarmee? Das Staatsoberhaupt Podgorny, Marschall Breschnjew als Vorsitzender des Verteidigungsrats, oder Verteidigungsminister Ustinow? Derzeit jedenfalls scheint Breschnjew die Rolle eines Pölit-Marscballls für sich zu beanspruchen. Es gab drei solche Polit-Marsehalie vor ihm, und sie hießen Stalin, Berija und Bulga-min — was bei den Militärs böse Erinnerungen weckt.

Läuft es darauf hinaus, daß am Ende nur noch ein einziger Marschall existiert und daß dieser Marschall Leonid Breschnjew heißt? Der Personenkult beginnt stalinistische Dimensionen anzunehmen und gipfelte kürzlich darin, daß der frischgebak-kene Marschall feierlich eine bronzene Büste in seiner ukrainischen Geburtsstadt Dnjeprodscherschinks aufstellen ließ. Dergleichen galt bisher als parteiamtlich verrjönt.

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