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Die Garnison bezieht Wache

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Kurz nach dem Kongreß der Kommunistenpartei Bulgariens hatte auch die PZPR, die Vereinigte Arbeiterpartei Polens“, die vor mehr als fünf Jahren aus der erzwungenen Verschmelzung der sozialistischen PPS mit der bolschewikischen PPR hervorgegangen war, ihre Delegiertentagung. abgehalten. Ursprünglich war dafür der Termin Mitte Jänner bestimmt gewesen. Doch eine Reihe von Beweggründen der auswärtigen und der inneren Politik legten eine Verschiebung nahe. Rund tausend Abgeordnete der örtlichen Organisationen waren im großen Festsaal der Warschauer Akademie für Leibesübungen zusammengetreten, um vier wichtige Referate nebst. einem Bericht des Revisionsausschusses entgegenzunchmeh, um eine jener Scheindebatten durchzuführen, die östlich des Eisernen Vorhanges so etwas wie Demokratie und einen neuen Parlamentarismus vortäuschen sollen, und um durch Wahlen der obersten Parteibehörden das einstimmig zu beschließen, was zuvor als Ergebnis interner Machtkämpfe und eines entscheidenden Wortes aus Moskau verfügt worden war. Es wäre indessen weit gefehlt, aus dem programmgemäßen Verlauf dieses Kongresses, der sich wie eine wohlgeregelte Zeremonie abspielte, auf die Bedeutungslosigkeit der ihm erstatteten Referate oder der durch ihn votierten sachlichen und persönlichen Wandlungen zu schließen.

Seit etwa einem Vierteljahr hat die in der UdSSR und in den Volksdemokratien übliche Propaganda das Land auf diesen zweiten Kongreß der herrschenden PZPR vorbereitet. Die Presse und der Rundfunk widmeten ihm, je mehr seine Eröffnung heranrückte, um so größeren Raum. Und wäre nichts anderes gewesen, um dem Durchschnittspolen einzubläuen, daß von dieser Tagung eine noch herrlichere Aera des Glückes und des Fortschrittes ausgehen werde, so hätte er es durch die ihm angesonnene unentgeltliche Fronarbeit an Ueberstunden lernen müssen. In der kriegerischen Sprache der von ihr verratenen Klassenkämpfer für den Frieden heißt derlei: die Garnison (zaloga) bezieht Wache (zaciqga wart?) zu Ehren des Kongresses. Riesenobjekte gilt es schneller und, natürlich mit der entsprechenden Flüchtigkeit, fertigzustellen und sogar in kleineren Betrieben heißt es,’ die gute Gesinnung durch unbezahlte Sonderleistung zu bekunden. Zudem haben die Schwergeplagten eine Flut von belehrenden Vorträgen, marxistischen Kapuzinerpredigten und Versammlungen samt Referaten über sich dahinfließen zu lassen. Und nun war der große Tag, die große Tagung gekommen.

Eine sowjetische Mission unter persönlicher Führung des offiziellen Kommunisten Nr. 3 — und heute vermutlich faktischen Nr. 1 — Chruschtschew, ihm zur Seite der einflußreiche Moskauer Parteisekretär Michajlov und der ukrainische Vizepremier, Dichter und Publizist Kornejcuk — Gatte der ersten Präsidentin des Polnischen Patriotenkomitees während des Zweiten Weltkrieges Wanda Wasi- lewska —, weilte als Gast beim Kongreß; wesentlich, um die Wacheablösung zu kontrollieren und um dem veränderten Kurs den Rückhalt an der unwiderstehlichen Sowjetautorität zu leihen. Neben Chruschtschew verblaßten natürlich die anderen Parteiabordnungen aus Satellitenländern, obzwar unter diesen Delegationen so angesehene Genossen, wie der Ungar Gero, der Rumäne ChiSe-

nevschi und der Tscheche Kopecky, waren. Diese drei durften mitansehen, wie sich in Polen das Schauspiel wiederholte, das sie in Ungarn schon hinter sich hatten und das den Rumänen, den Tschechen noch bevorsteht. , ,

In vier Referaten behandelten der bisherige Ministerpräsident (und vor Oktober 1952 Staatspräsident) Bierut die allgemeine Lage, und zwar in einem etwa 18.000 Druckzeilen umfassenden, als Broschüre in 100.000 Exemplaren verbreiteten Bericht des Zentralkomitees, der Wirtschaftsoberminister und Vizepremier Mine die ihn betreffenden Fragenkomplexe, der Landwirtschaftsminister Nowak das heikelste Problem der zurückbleibenden Produktion seines Ressorts, und der Gebieter über den Parteiapparat Ochab die Aufgaben der PZPR. Es sprachen in der Beratungswoche noch viele Redner, darunter .der Präsident des Staatsrates Aleksander Zawädzki, der Militärgewaltige und Verteidigungsminister Marschall Rokossowski, der Außenhandelsminister Dabrowski, die nun aus den Kulissen hervortretende graue Eminenz Berman, die Hauptvorkämpfer der marxistischen Kultur Minister Sokorski und Rapacky, der auch im deutschen Spradiraum bekanntgewordene Schriftsteller Kruczkowski und die maßgebenden Theoretiker Professoren Schaff und Zölkiewski. Doch das Grundlegende war in den Aeußerungen Bieruts, Mincs, Ochabs und Nowaks enthalten: Polen folgt dem Beispiel, das in der UdSSR durch Chruscev und Malenkow gegeben und das bisher am eindringlichsten in Ungarn, aber auch in Rumänien und in der Tschechoslowakei befolgt worden ist. Die forcierte Förderung der Schwerindustrie wird gebremst; der Akzent auf landwirtschaftliche Industrie und auf das Erzeugen von Gebrauchsgütern gelegt. Den Kulaken wird eine Gnadenfrist gewährt und die gewaltsame Errichtung vön Kolchosen erfährt, mitunter, wie in der Rede des Vorsitzenden des Polnischen Staatsrates Zawadzki, scharfe Mißbilligung. Man trachtet die erlahmende Landwirtschaft durch Aussicht auf Fortdauer individueller Wirtschaft zu beleben. Die Notwendigkeit sorgsamer Beachtung wenigstens der neuen volksdemokratischen Gesetzlichkeit und das Unterbinden einer gegen diese gerichteten Polizeiwillkür werden verfochten. Die Parteibürokratie bekommt einiges ab und nicht nur die Selbstkritik der Höheren, auch die Kritik seitens des Parteivolkes werden ermuntert, ja zur Pflicht gemacht. Vor allem aber erscheinen die Ablehnung der Einmann-Diktatur und demgemäß das laut betonte Koliektivprinzip in der Führung als Leitmotive. Zum Zeichen dessen ist der Posten eines Parteipräsidenten, den Bierut bekleidete, aufgehoben worden. Das ehemalige Staatsoberhaupt führt seither nur noch, wie Chruschtschew in der UdSSR, Räkosi in Ungarn, den Titel eines Ersten Parteisekretärs.

Nicht genug an dem. Auch in Polen ist die Trennung der Parteileitung vom Vorsitz in der Regierung geschehen. Als Ministerpräsident („Premier“) kommt an Bieruts Stelle dessen Vorgänger im Amt Jösef Cyrankie- wicz, dem als erste Stellvertreter Mine, Nowak und Berman beigegeben werden. Bieruts Einfluß scheint verringert, doch, ähnlich wie bei Räkosi, keineswegs ausgeschaltet. Zwar wird Cyrankiewicz nach wie vor mehr dekorativ und repräsentativ wirken, doch das Kollektivprinzip hat unverkennbare Geltung. Nicht nur die Mine, Nowak und Berman, sondern auch die übrigen Mitglieder des fast unverändert wiedergewählten Politbüros, wie der Vorsitzende des Staatsrates (des seit Oktober 1952 kollektiven Staatsoberhauptes) Zawadzki, Marschall Rokossowski — oh, wie sehr —, die unter Bierut wirkenden Parteisekretäre Ochab, Mazur und Dworakowski, der unheimliche Roman Zambrowski, der Parteiveteran Jözwiak, der oberste Polizeichef Radkiewicz haben ihr Wörtchen mitzureden.

An dieser „Equipe“ ist gar manches bemerkenswert. Zunächst sind die Spitzen der Regierung nicht gerade sehr proletarisch. Cyrankiewicz, ein eleganter, hochgewachsener Herr, in zweiter Ehe Gatte einer vortrefflichen und nicht übermäßig bescheidenen Schauspielerin, ist Jurist von Beruf, aus angesehener westgalizischer Familie, einstiger Kanzleigefährte des rechtssozialistischen Kommunistenfeindes Zulawski; Erlebnisse im deutschen KZ und Ehrgeiz haben Cyrankiewicz (der in erster Ehe mit einer Jüdin verheiratet war) innerhalb seiner, der sozialistischen Partei von Rechts nach Links getrieben.

Er wurde zum Hauptverfechter der Fusion mit den Kommunisten, erhielt zum Dank dafür im Februar 1947 die Ministerpräsidentschaft, die er aber im Herbst 1952, nach der polnischen Verfassungsänderung, die damals alle Macht in den Händen des Regierungschefs konzentrierte, an Bierut abgeben mußte. Berman und Mine entstammen millionenreichen Familien der jüdischen Großbourgeoisie. Pikantes Detail: Bermans Bruder wirkt als Zionistenführer in Israel. Daß übrigens Berman, der sich seit 1945 im Hintergrund bewegte, obzwar er längst, zeitweilig als einflußreichster Mann, die Geschicke Polens mitlenkte, als Politiker ebensoviel Begabung besitzt wie Mine als Wirtschaftsmann, ist unleugbar. Ob sie aber mäßigend wirken wollen (und können), wie das einstige Erklärungen Bermans und die episodische Halbungnade Mincs in Moskau vermuten ließen, das möchten wir dahinstellen. Feststeht dagegen, daß Polen heute mit Volldampf den neuen Moskauer Kurs Chruschtschew-Malenkow beschreitet. In der Weltpolitik bedeutet dies freilich, daß der Kurs der alte bleibt: im Fahrwasser des Kremls.

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