6851524-1976_49_06.jpg
Digital In Arbeit

Personenkult in Bronze

Werbung
Werbung
Werbung

Der Personenkult war in der UdSSR nur scheintot. Pfiffige Schranzen haben entdeckt, daß Parteigrößen, die schon zweimal mit dem Titel „Held der sozialistischen Arbeit“ oder „Held der Sowjetunion“ ausgezeichnet worden sind, Anspruch auf eine Bronzebüste in ihren Heimatorten haben. Welcher Bonze möchte nicht seine Unsterblichkeit rechtzeitig sichern? Die sowjetische Gerontokratie kann nun endlich ihre eigenen Bronzemonumente schon zu Lebzeiten bewundern.

Nikita Chrustschow ging bekanntlich als Bilderstürmer in die Sowjetgeschichte ein. Er ließ Tausende von geschmacklosen Gipsmonumenten auf den Hauptplätzen der Dörfer stürzen, er ließ Straßen, Städte, Fabriken umbenennen, kurzum, er versuchte, den Personenkult auszurotten. Die Eitelkeit der Heroen erwies sich jedoch als stärker und dauerhafter.

Der Oberste Sowjet hat am 11. September 1957 ein Dekret gutgeheißen, in dem hervorgehoben wurde, daß Lenin eine Inkarnation der Einfachheit und Bescheidenheit gewesen sei und nicht erlaubt habe, daß Städte, Straßen, Brücken und Fabriken seinen Namen trügen oder daß seine Gipsfigur am laufenden Band hergestellt werde.

Das menschliche Gedächtnis ist jedoch kurz. Was mit Stalin jahrzehntelang getrieben wurde, ist bekannt. Nach seinem Tod gab es eine Pause. Dann sorgte das Präsidium des Obersten Sowjets am 14. Mai 1973 für eine Überraschung, indem es ein Dekret erließ, demzufolge, wie erwähnt, zweifache „Helden“ mit einer bronzenen Büste geehrt werden dürfen. Das war ein geradezu maßgeschneiderter Personenkult für die vergreisende Parteispitze.

Für die erste Bronzebüste kam natürlich nur der Erste Mann im Staat in Betracht: Marschall Leonid Bresch-njew. Das geeignetste Datum für die Enthüllung war der 31. Jahrestag des großen Sieges, der 8. Mai 1976. Seither steht Breschnjews zehn Meter hohe Büste auf dem Hauptplatz von Dnje-prodscherschinsk. Am selben Tag verlieh er sich selbst den Rang eines Marschalls. Den Titel „Held der sowjetischen Arbeit“ hatte er bereits im Juni 1961 für seine Mitwirkung am „Wo-stok“-Weltraumprojekt erhalten. Im Jahre 1966, anläßlich seines 60. Geburtstages, wurde er zum zweitenmal „Held der UdSSR.“

Derartige hohe Auszeichnungen schmeicheln nicht nur der Eitelkeit, sie stärken auch die Position ihres Inhabers innerhalb der Partei- und Regierungshierarchie. Außerdem erhielten noch der nominelle Staatspräsident Podgorny und der Chefideologe Suslow Büsten von einer, verglichen mit Breschnjews Mammutmonument, nur bescheidenen Größe.

Das Politbüro zählt derzeit 15 Mitglieder. Drei von ihnen: Romanow, Kulakow und Schtscherbitsky sind noch keine „Heroen“. Sie sind jünger als 60 Jahre. Sieben Politbüromitglie-der haben derzeit Anspruch auf eine Bronzebüste - aber nur drei haben sie bisher erhalten. Warum wohl? Kiri-lenko ist Anwärter auf die hohe Auszeichnung seit dem 8. September 1976, Kunajew seit dem 6. Oktober 1976. Kossygin und Ustinow besitzen schon lange Zeit Heldensignien, sollten also ihre Büsten längst schon haben. Ustinow hatte sogar früher darauf ein Anrecht als Breschryew. Und Kossygin? Seine Erkrankung war kein zureichender Grund für eine Zurückstellung - manche sprechen sogar von Brüskierung.

Es handelt sich bei all dem nicht um die traditionellen Gegensätze zwischen dem Ministerpräsidenten und der Parteiführung. Der Konflikt begann weder mit der Erkrankung Kos-sygins, noch damit, daß er unversehens aus einem Boot ins Wasser fiel. (Manche möchten ihn ja schon lange ertränken.) Vielmehr traten wegen des Fünfjahresplanes wesentliche Differenzen zwischen Breschnjew und Kossygin auf. Der Konflikt erhielt dadurch gefährliche Ausmaße, daß die Breschnjew-Fraktion während der Abwesenheit des Premiers in dessen Ressort herumzuwühlen begann, um fertige Tatsachen zu schaffen. Kossygin protestierte vom Krankenbett her energisch gegen diese „unverantwortliche Einmischung“ und pochte auf sein Recht, die wichtigen Entscheidungen in der Wirtschaftsplanung selbst zu treffen.

Man spricht in Moskau von einer „Konfliktstrategie“ Breschnjews, die hauptsächlich gegen Kossygin und seine engsten Mitarbeiter gerichtet ist. Demnach ist Kossygins Krankheit eher ein politisches als ein physisches Phänomen. Die Verzögerung der Aufstellung seiner Büste ist ein unmißverständliches Zeichen dafür.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung