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Sinnloser Kampf

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Die Rolle der Sowjetarmee in Afghanistan nimmt ein Artikel in der Moskauer Reformzeitschrift Vitalij Korotitschs „Ogonjok“ unter die Lupe. Dabei spart Generaloberst Warennjikow nicht mit Kritik.

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Die Rolle der Sowjetarmee in Afghanistan nimmt ein Artikel in der Moskauer Reformzeitschrift Vitalij Korotitschs „Ogonjok“ unter die Lupe. Dabei spart Generaloberst Warennjikow nicht mit Kritik.

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In einem Gespräch mit Generaloberst W.I.Ware nnjikow, der eine Schlüsselstellung im sowjetischen Generalstab innehat, Stellvertreter des sowjetischen Generalstabschefs und - so „Ogonjok“ -gleichzeitig Chef einer wichtigen Hauptverwaltung ist, wird der Frage nachgegangen, warum die Sowjetunion den unseligen Krieg in Afghanistan (1979 bis 1988) begonnen hat.

General Ware nnjikow hatte zwischen 1985 und 1988 die Führung jener operativen Gruppe im sowjetischen Generalstab inne, die mit der Planung und Ausführung der Operationen der sowjetischen Truppen in Afghanistan betraut war.

Die Sowjetarmee habe - so Ware nnjikow - den Einmarsch in Afghanistan im Dezember 1979 unter Protest des Generalstabes vollzogen. Aber weder die damalige politische Führung (Leonid Breschnew) noch der Verteidigungsminister Marschall Ustinow waren gewillt, sich mit der Haltung der Berufsmilitärs auseinanderzusetzen. Ware nnjikow räumt jedoch ein, daß die internationalen politischen Beziehungen 1979 sehr kompliziert waren. Das herrschende Mißtrauen zwischen den Supermächten habe deren außenpolitische E ntsche idun-gen über Afghanistan beeinflußt.

Den sowjetischen Militärs sei gesagt worden, der Einmarsch diene dazu, die dort bereits herrschende Lage politisch zu stabilisieren. Daraufhin habe der Generalstab vorgeschlagen, in Afghanistan Militärstützpunkte für Sowjet-Truppen zu errichten. Sowjetsoldaten sollten an Kämpfen nicht teilnehmen. Deswegen war der Generalstab auch dagegen, die Truppenstärke in Afghanistan ständig zu erhöhen.

Der General meint, es wäre besser gewesen, wenn sich die Sowjets aus den Kämpfen zurückgehalten hätten. „Wir hätten auf jeden Fall weniger Gefallene gehabt.“ Kritik übt er auch an Marschall Ustinow, der - kein Militär -1976 einfach (er war Freund Breschnews) an die Spitze des Verteidigungsministeriums gesetzt worden war.Die Garnisonen der Sowjets hatten die Aufgabe, gute Beziehungen mit der afghanischen Bevölkerung zu pflegen. „Leider haben wir Babrak Karmal Glauben geschenkt, der uns in diesen langwährenden Krieg zog.“

„Ogonjok“ fragt: „Haben Sie diesen Mann gekannt?“ Warennjikow: „Ja. “Er hat das Vertrauen seiner Kampfgefährten nicht verdient. Auch nicht unseres, geschweige denn das des afghanischen Volkes.“

Der General beschreibt Babrak Karmal, der acht Jahre an der Spitze der afghanischen KP und der afghanischen Staatsführung von Moskaus Gnaden stand, als einen „erstklassigen Demagogen“ und als einen Mann, der große Fähigkeiten besaß, die eigene KP zu spalten.

„Er hat seine Partei zugrunde gerichtet“, sagt WarennjikowM,under hat einen gewa lügen bürokratischen Apparat geschaffen. Er kämpfte nicht um das Wohl des Volkes. Mit Vorhebe hat er radikale sozialistische Ziele verfolgt, für die die Voraussetzungen in Afghanistan fehlten. Daher war das Volk nicht gewillt, seiner revolutionären Politik zu folgen... Babrak Karmal hat mit seinem ungeschickten Agieren das Volk in die Arme des Feindes ge-stossen.“ Unerfahren - so der General - seien auch die sowjetischen Berater im Stabe des afghanischen KP-Chefs gewesen.

Warennjikow gehörte zu jenem Kreis sowjetischer Spitzenmilitärs, der schon frühzeitig einsah, daß das Problem Afghanistan militärisch nicht zu lösen war. Und deshalb kritisierte er die Auffassung jedes neuen Befehlshabers der Sowjettruppen in Ka- ' bul, wonach man sofort eine gemeinsame afghanisch-sowjetische Großoffensive beginnen und versuchen müsse, die aufständischen Banden mit Waffengewalt zu zerschmettern. Ein militärpolitischer Fehler, denn das Gros der Bewaffneten stellten nicht die Banden, sondern die Männer der örtlichen Gemeinden, die mit der Waffe in der Hand ihre Stammesinteressen verteidigten.

„Wir waren damals überzeugt, daß man Kabuls Macht nur so vermehren könne, wenn wir mit unseren Truppen in den Verwaltungszentren des Landes die örtliche Vertretung Karmals stärkten oder sie ins Leben riefen.“ Kaum habe man das getan und sei weitergezogen, sei die Macht binnen kürzester Zeit von den Aufständischen gestürzt worden. Die Sowjettruppen waren so ständig in Kämpfe verwickelt.

Babrak Karmal lebt seit Jahren „irgendwo“ in der Sowjetunion im Exil, völlig isoliert und von den Ereignissen in seinem Land getrennt.

Warum waren die Sowjets überhaupt in Afghanistan? Ein Grund nach Warennjikow war, daß die KP in Afghanistan 1979 keine andere Wahl gehabt habe, als die Sowjets zu rufen, wenn sie an der Macht bleiben wollte. „Es drängten auch unsere Diplomaten in Kabul, daß die Sowjetarmee Karmal unterstützen sollte.“

Abschließendfragt „Ogonjok“ den General noch nach den gegenwärtigen Problemen der Sowjetarmee, vornehmlich über den bereits im Gang befindlichen Truppenabbau.

Nach Warennjikow ist das eine schwerwiegende Frage. Man dürfe keineswegs in den Fehler Chruschtschows verfallen, der 1955 einen Truppenabbau im Rahmen einer technischen Modernisierung der Sowjetarmee vornahm. „Wir müssen darauf achten, daß die gut ausgebildeten und dienstfreudigen Offiziere der Armee nicht den Rücken kehren.

Auch die Nachwuchsbildung muß einer Überprüfung unterzogen werden. Programm und Struktur der Offiziersschulen müssen eine neue Grundlage erhalten. Die Erziehung zu Selbständigkeit und schöpferischer Tätigkeit der jungen Kader ist wichtig. Außerordentlich wichtig ist die physische Vorbereitung der Wehrfähigen zum Militärdienst. Dazu noch: die ideologische Erziehung muß neue Wege gehen.“

Die bisherige Parteipropaganda und Ideologie hat auch in der Armee abgewirtschaftet

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